Die folgende Textsequenz bzw. Fallvignette schildert eine Situation im Kontext einer Lehre, die forschendes Lernen zum Ziel hat. Die beschriebene Situation fordert Sie als Lehrende heraus und verlangt möglicherweise von Ihnen, dass Sie unmittelbar handeln. Ziel der Bearbeitung der Fallvignette ist es, dass Sie sich Gedanken darüber machen können, was Sie in einer solchen Situation tun oder wie Sie eine solche verhindern könnten. Vielleicht aber schätzen Sie die Situation auch als problemlos und eher lernförderlich ein. So oder so können sich auf diese Weise sozusagen präventiv mit möglichen Herausforderungen vertraut machen und Ihre eigenen Bewertungen und Handlungsimpulse reflektieren.

Die beschriebenen Situationen stammen aus Interviewdaten mit Koordinator_innen von Projekten zum forschenden Lernen und wurden für den genannten Zweck zugespitzt. Es wurden die geläufigsten Herausforderungen, die in Lehrangeboten zur Förderung forschenden Lernens vorkommen, ausgewählt und in Fallvignetten umgewandelt.

Sie befinden sich in einer Projektbesprechung. Je länger Sie mit den Studierenden reden, umso deutlicher wird: Die Studierenden haben zwar schon sehr viel Energie in ihr Konzept hineingesteckt, aber als Gruppe haben sie sich verrannt: das Konzept kann und wird so nicht funktionieren. Außerdem wird die Zeit langsam zu knapp, um nochmal anzufangen und ein neues Projekt zu konzipieren, welches noch zu Ergebnissen kommt. Sie überlegen, wie Sie nun am besten mit den Studierenden weiterverfahren.

Reflexionsfragen

  • Wie können Sie mit den Studierenden über ihr
    Scheitern sprechen, ohne sie zu entmutigen? („Scheitern als Abbruch“)
  • Wie könnte ein Kompromiss aussehen (z.B.
    Realisierung von Teilzielen und -komponenten, die machbar wären („Scheitern als
    Erfahrungswidrigkeit“))?
  • Sehen Sie sich in der Verantwortung, die
    Studierenden bei der Bewältigung der Folgen des Scheiterns zu begleiten?
  • Was können die Studierenden möglicherweise aus der
    Erfahrung des Scheiterns lernen?
  • Denken Sie über Ihre eigene Lernerfahrung nach: Wie
    haben Sie während ihres Studiums auf Scheitern reagiert?

Haltungen und Umgangsweisen

Im Folgenden werden einerseits Haltungen, andererseits präventives und intervenierendes Handeln und in der geschilderten Situation präsentiert. Zunächst werden Haltungen geschildert. Diese haben Auswirkungen darauf, ob und wie reagiert wird. Anschließend werden Handlungen präsentiert. Sie sind Beispiele aus der Praxis, wie Lehrende an Hochschulen mit der Situation umgehen: präventiv oder intervenierend. Zudem werden indirekte Maßnahmen aufgeführt, die sozusagen „über Bande“ Wirkung entfalten können.

Haltungen

Haltungen umfassen keine konkreten Maßnahmen, sondern beschreiben die innere Einstellung von Lehrenden (oder Koordinierenden) zu unterschiedlichen Situationen. In Abhängigkeit von der Haltung können Situationen als „problematisch“ und „herausfordernd“, aber auch als „erwünscht“ und „normal“ interpretiert werden.

Scheitern als normal betrachten

Sie sind der Ansicht, dass Scheitern zum Forschen dazugehört. Das passiert Ihnen, ihren Kolleg_innen und selbstverständlich auch den Studierenden – es ist ein normaler Teil der Wissenschaft.

In dieser Fallvignettensituation könnte dies auf der Handlungsebene bedeuten:
Sie reden offen mit den Studierenden, am besten auf Augenhöhe: Das bedeutet, auch zu eigenen Misserfolgen zu stehen, und zu vermitteln, dass dies in der Wissenschaft zum Alltag gehört. Die Studierenden erkennen, dass man daraus lernen kann und fühlen sich ermutigt, sich neue Ziele zu setzen.

Scheitern als Lerngelegenheit betrachten und zulassen

Scheitern kann aus Ihrer Sicht dazu beitragen, dass die Studierenden wertvolle Erfahrungen sammeln und die Forschungsrealität kennenlernen. Daher intervenieren Sie nicht, um Hürden oder ungeplante Schwierigkeiten, die die Studierenden (und auch Sie) oft nicht voraussehen können, zu vermeiden. Sie sorgen aber dafür, dass Studierende – trotz aller Frustration – am Ende des Prozesses ein Lernergebnis sehen.
In dieser Fallvignettensituation könnte dies auf der Handlungsebene bedeuten:
Sie vermitteln den Studierenden auf der einen Seite ehrlich, dass ihr Projekt nicht zielführend ist. Auf der anderen Seite thematisieren Sie, dass auch Irrwege zur Forschung dazugehören und sie das Scheitern nicht persönlich nehmen müssen. Gemeinsam mit den Studierenden und auf Augenhöhe überlegen Sie, wie es jetzt weitergehen soll.

Präventives Handeln

Präventives Handeln verhindert die beschriebene Situation bzw. macht sie weniger wahrscheinlich, denn eine Garantie für die Vermeidung solcher Konflikte gibt es nicht.

Rücksprache mit Expert_innen ermöglichen

Sie organisieren, dass die Studierenden regelmäßig mit kompetenten Ansprechpartner_innen über ihren Forschungsstand sprechen. Dies kann dazu beitragen, dass Risiken des Scheiterns frühzeitig erkannt und bearbeitet werden.

Nutzen dieser Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Durch Kommunikation können das Risikofaktoren für einen Misserfolg identifiziert werden. So können durch bestimmte Tipps einige Fehler entweder vermieden oder korrigiert werden. Der Austausch mit jemand anderem als der gewohnten Lehrperson wirkt motivierend und eröffnet den Studierenden neue Perspektiven.

Indirekt vorher auf Probleme aufmerksam machen

Auch wenn Sie bereits potenzielle Probleme wahrnehmen, weisen Sie in Beratungsgesprächen die Studierenden nicht direktiv darauf hin. Stattdessen stellen Sie Fragen so, dass die Studierenden diese Herausforderungen selbst erkennen.

Nutzen dieser Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Ein so großes Scheitern, wie in dieser Situation beschrieben, könnte durch rechtzeitiges indirektes Intervenieren vermieden werden. Allerdings setzt das eine ausreichend enge Zusammenarbeit mit den Studierenden voraus, sodass Sie als Lehrende die „Irrläufe“ rechtzeitig bemerken. Zudem benötigt eine solche „sokratische Gesprächsführung“ Zeit und Übung.

Intervenierendes Handeln

Intervenierend handelt man in der Regel, „wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“. Es handelt sich also um akute reaktive Maßnahmen.

Studierenden kommunizieren, dass etwas schief gegangen ist

In einem Gespräch teilen Sie den Studierenden mit, dass der Prozess nicht zielführend ist.

Nutzen dieser Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Es ist sehr wichtig, dass das Scheitern offen angesprochen wird. Auch ein schlechtes, ungeplantes oder unerwartetes Ergebnis ist ein Ergebnis. Die Studierenden werden damit konfrontiert, dass Forschung erwartungswidrig verlaufen kann. Dabei soll den Studierenden in erster Linie bewusst werden, dass Fehler zu machen nichts Ungewöhnliches, sondern eine Lerngelegenheit ist. Die Studierenden können in einem Gespräch gemeinsam darüber nachdenken, was schiefgegangen ist und was sie in Zukunft besser machen können.        

  • Projekt FideS-Transfer
  • 2020
  • Sie befinden sich in einer Projektbesprechung. Je länger Sie mit den Studierenden reden, umso deutlicher wird: Die Studierenden haben zwar schon sehr viel Energie in ihr Konzept hineingesteckt, aber als Gruppe haben sie sich verrannt: das Konzept kann und wird so nicht funktionieren. Außerdem wird die Zeit langsam zu knapp, um nochmal anzufangen und ein neues Projekt zu konzipieren, welches noch zu Ergebnissen kommt. Sie überlegen, wie Sie nun am besten mit den Studierenden weiterverfahren.

  • Fallvignette
  • Deutsch
  • CC BY SA (unsere Empfehlung: Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen)
  • Preiß, J., Bartels, M., Herrmann, A.-C., Krein, U., Lübcke, E. & Reinmann, G. (2020). Fallvignette: Dead end. Hamburg; Kaiserslautern; Potsdam: Projekt FideS-Transfer.
  • übergreifend