Umfeld

Technische Hochschule Nürnberg, Soziale Arbeit

Bachelor-Studierende

Durchführung: 1-mal,   5 CP und  2 SWS

In welchem Umfeld habe ich mein Angebot zum forschenden Lernen umgesetzt?

Das Seminar Rollenspiel und szenische Inszenierung als Möglichkeiten der Fallanalyse und des Fallverstehens findet an der Technischen Hochschule Nürnberg statt. Es ist Teil eines größeren Moduls zum Thema Praxis-Theorie-Transfer. Es richtet sich an Bachelor-Studierende im fünften oder sechsten Semester, die nach einer einsemestrigen Praxisphase in verschiedenen Einrichtungen der Sozialen Arbeit an die Hochschule zurückkehren. Das Seminar verbindet die Erstellung von ethnographischen Praxisprotokollen mit szenischer Arbeit und verfolgt damit das Ziel, konkrete Erfahrungen aus der Praxisphase mit wissenschaftlichen Methoden zu erforschen und zu reflektieren. 

Umfeld

Grund

Ein persönliches professionelles Anliegen

Ein Impuls aus meinem Umfeld

Was war der Grund dafür, dass ich mich für das forschende Lernen entschieden habe?

Wir haben uns aus zwei Gründen dazu entschlossen, unser Angebot zum forschenden Lernen durchzuführen.  
Erstens wollten wir den Studierenden mit Hilfe des Seminars zeigen, wie sie ihre Erfahrungen in der Praxisphase erforschen und reflektieren können. Dabei verfolgten wir zwei Ziele: Zum einen wissen wir aus eigener Erfahrung und aus wissenschaftlichen Studien, wie wichtig die erlebten Praxiserfahrungen für Studierende der Sozialen Arbeit sind und dass diese die Entwicklung eines Selbstbildes stark beeinflussen. Daher war es uns wichtig, den Studierenden Raum und Zeit zu geben, die Praxisphase wissenschaftlich zu untersuchen, zu reflektieren und bestimmte Situationen zu thematisieren. Andererseits wollten wir auch die Verbindung zwischen Praxis und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung in einem Seminarkontext herausarbeiten. So sehen sich viele unserer Studierenden mehr als Praktiker:innen und verstehen häufig nicht, inwiefern eine forschende Tätigkeit oder theoretische Überlegungen einen Einfluss auf ihre Praxis haben können. Aus diesem Grund war es uns wichtig, ein Seminar anzubieten, in dem Studierende anhand von ethnographischen Praxisprotokollen und szenischer Arbeit ihre Erfahrungen wissenschaftlich und kreativ untersuchen können. 
Der zweite Grund war unser Wunsch zu erforschen, inwiefern sich Theatermittel und Praxiserfahrung tatsächlich miteinander verbinden lassen. Die Idee war hier, dass Theater eine gute Möglichkeit ist, Praxiserfahrungen zu reflektieren und z. B. die eigene Rolle in Kontexten Sozialer Arbeit zu untersuchen. Diese Überlegungen ließen sich gut mit dem Prinzip des Forschenden Lernens verbinden, da es viel Spielraum in der Gestaltung lässt und auch der Reflexion des Forschungsprozesses Raum gibt.

Umfeld

Umsetzung

1 Semester lang

In eine Veranstaltung eingebettet

Curricular verankert & verpflichtend

Forschungsprozess: selbständig organisiert

Feedback: Peers, Lehrende, Externe

Forschungsergebnisse: teilweise öffentlich

Wie ist mein Lehrangebot zum forschenden Lernen genau beschaffen?

Der Inhalt des Seminars bestand aus fallbezogenen Praxisreflexionen, die mithilfe von Methoden und Konzepten der Rekonstruktiven Sozialen Arbeit und der szenischen Arbeit untersucht und durchgeführt wurden. Auf Grundlage ethnographischer Praxisprotokolle beschäftigten wir uns damit, welche Prozesse in einem Ausschnitt professioneller Praxis beobachtbar waren, welche Schwierigkeiten deutlich wurden und wie die Studierenden diese bearbeiteten. Die übergeordnete Forschungsfrage war hier also: Was ist der Fall in den unterschiedlichen Praxiserfahrung und was ist in diesen ausgewählten Situationen eigentlich passiert? Die weitere Ausgestaltung der Forschungsfragen hing danach stark von den geschilderten Situationen ab. An dieser Stelle ist noch mal der explorative Charakter des Forschungsseminars zu betonen. Demnach waren wir als Lehrende nicht sicher, inwiefern sich Methoden aus dem Theater eigneten, um erlebte Praxissituationen zu erforschen, wodurch sich das Seminar auch durch Ausprobieren und Unsicherheit auszeichnete.  Das Seminar lässt sich in drei Phasen untergliedern.

Vorbereitungsphase 
Die Vorbereitungsphase zeichnete sich durch zwei Sitzungen aus. In diesen Sitzungen gab es zwei inhaltliche Schwerpunkte. Einerseits ging es darum, die Grundideen Rekonstruktiver Sozialer Arbeit zu verstehen, Methoden ethnographischer Forschung kennenzulernen und Praxisprotokolle über eine ausgewählte Situation der Praxisphase zu schreiben, sich über diese in Kleingruppen auszutauschen und zu überarbeiten. Andererseits wurde diese Vorbereitungsphase auch dafür genutzt, um in Theatermethoden einzuführen und Studierende mit diesem alternativen Zugang vertraut zu machen (beispielsweise durch kleine Übungen).  
Zum Ende dieser Phase teilten sich die Studierende in Kleingruppen (4-5 Gruppenmitglieder) auf und besprachen in diesen Gruppen, welches der unterschiedlichen ethnographischen Praxisprotokolle sie in der nächsten Phase szenisch erforschen wollten.  

Forschungsphase  
Die Forschungsphase bildete den Kern des Seminars und wurde als Blockseminar an einem Wochenende durchgeführt. Im Mittelpunkt dieser Phase stand die szenische Erarbeitung und Reflexion der ausgewählten Praxissituationen. Dabei griffen die Studierenden unter Anleitung auf verschiedene theatrale Methoden zurück und untersuchten auf dieser Basis unterschiedliche Aspekte der Praxiserfahrung. Die differenzierten Umsetzungen führten dazu, dass verschiedene Perspektiven eingenommen und unterschiedliche Forschungsschwerpunkte gesetzt wurden. So wurde in einer Einheit der  Fokus auf  die Erforschung von Potentialen des „Forumtheaters“ (in grober Anlehnung an A. Boal) zur Analyse unterschiedlicher Handlungsstrategien gelegt, und in einer weiteren Einheit, die Methoden des „Live-Games“ (in grober Anlehnung an K. Johnstone) angewendet, um mögliche Potentiale des improvisatorischen Handelns zum Erkunden spontaner, unplanbarer Handlungsoptionen zu erkunden. Bei der Rekonstruktion befasste sich dann bspw. eine Gruppe mit den Möglichkeiten, durch theatrale Überzeichnungen Perspektivwechsel und Differenzerfahrungen zum konkret Erlebten zu fördern, während eine andere Gruppe den Fokus auf die Fragestellung legte, inwiefern sich im Rahmen szenisch-dokumentarischer Rekonstruktionen potentielle Handlungsoptionen probieren lassen und inwiefern sich unterschiedliche Perspektiven der Agierenden visualisieren lassen. Auch haben wir gemeinsam entschieden, dass eine andere Gruppe ihre Ergebnisse nicht szenisch darstellen sollte, da die spezifischen Erfahrungen sehr emotional waren und Theatermethoden in diesem Kontext dafür nicht geeignet erschienen. Diese Gruppe führte stattdessen eine umfangreiche Analyse des ethnographischen Praxisprotokolls durch.

Ergebnis- und Reflexionsphase  
In der letzten Phase des Seminars ging es darum, dass die Studierenden die Methode, die szenische Erarbeitung und die daraus gewonnenen Erkenntnisse reflektierten. Diese Phase verfolgte zwei Ziele. Zum einen ging es darum, auf einer methodischen Ebene zu evaluieren, inwiefern die Verbindung von Praxisreflexion durch szenische Darstellung und ethnographische Fallbeschreibungen ein gewinnbringendes Forschungsdesign ist. Zweitens war es uns natürlich auch wichtig, dass die Studierenden ihre eigenen Erfahrungen reflektierten und Erkenntnisse in Bezug zu den ausgewählten Praxissituationen erhielten. Die Ergebnisse dieser Phase wurden von den Studierenden in Reflexionsberichten festgehalten. 

Leistungsnachweis 
Der Leistungsnachweis setzt sich aus mehreren Elementen zusammen. Erstens erfordert er das Verfassen eines ethnographischen Praxisprotokolls, das auf den individuellen Praxiserfahrungen der Studierenden basiert. Die Seminarteilnehmenden können entweder aus einem Praktikum oder aus beruflichen Tätigkeiten vor oder während des Studiums stammen (Vorbereitungsphase). Zweitens ist die gemeinsame Arbeit am erhobenen Datenmaterial mit szenischen Methoden während zweier Blocktage ein zentraler Bestandteil dieses Nachweises (Forschungsphase). Drittens sollen die Studierenden ihre Erfahrungen während und nach der szenischen Arbeit reflektieren. Dies beinhaltet das Verfassen eines ausführlichen Reflexionsberichts im Umfang von 4000 Zeichen (plus/minus 10%). Der Bericht dient dazu, die gewonnenen Erkenntnisse und Eindrücke angemessen zu dokumentieren und zu reflektieren (Ergebnis- und Reflexionsphase). 

Umfeld

Spannungen

Selbst- und Fremdorganisation

Arbeitsvolumen und verfügbare Ressourcen bei Lehrenden

Veranstaltungsplanung und Anpassung infolge der Dynamik beim forschenden Lernen

Veränderte Lehrenden-Rolle und der vorhandenen Lehrtradition

Welche Spannungen ergeben sich beim forschenden Lernen?

Bei der Durchführung des Seminars stießen wir auf verschiedene Spannungen und Widersprüche, die zum Teil gut aufgelöst werden konnten, zum Teil aber auch als Bestandteile des Seminars anerkannt werden mussten.  
Ein grundsätzlicher Widerspruch, der uns aber schon bei der Planung des Seminars bewusst war, zeigt sich in der Verbindung von theoretischer Forschung und Theater. So war das eigentliche Ziel des Seminars, die Praxiserfahrungen der Studierenden wissenschaftlich zu analysieren und zu reflektieren, was vor allem eine Distanz und objektive Betrachtung der Praxiserfahrungen ermöglichen sollte. Die theatralen Elemente hingegen brachten eine gewisse Nähe mit sich, die eine objektive und distanzierte Betrachtung relativierten. Diesen Widerspruch versuchten wir mit Hilfe der zu erstellenden ethnographischen Praxisprotokolle aufzulösen. So dienten diese schriftlichen Texte als Grundlage für die theatralen Elemente und wurden somit als Zwischeninstanz zwischen persönlicher Erfahrung und szenischer Inszenierung eingesetzt. Gleichzeitig konnten und wollten wir diese Spannung nicht völlig auflösen, da gerade die Studierenden in ihrem späteren Berufsleben häufig mit diesem Gefühl von Nähe und Distanz konfrontiert sein werden und gerade im Aushalten dieser Spannung Übung benötigen.  
Eine weitere Spannung ergab sich aus der Tatsache, dass die Studierenden sehr unterschiedliche Erfahrungen in ihrem Praxissemester gemacht hatten und wir so oft individuelle Bearbeitungsweisen und Theatertechniken festlegen mussten. Dies war einerseits ein schönes Beispiel dafür, wie vielfältig das Feld der Sozialen Arbeit ist und wie unterschiedlich Erfahrungen erforscht und inszeniert werden können, verlangte aber andererseits von allen Beteiligten, sich auf die unterschiedlichen Protokolle einzulassen und sich intensiv damit auseinanderzusetzen. 
Eine damit verbundene Spannung zeigte sich auch in der hohen Emotionalität und den Momenten des Kontrollverlustes im Seminar, in denen sowohl die Studierenden als auch wir Lehrenden mit ungewohnten Situationen konfrontiert waren und nicht 100% wussten, wie wir damit umgehen sollten. Wir begegneten diesem Spannungsfeld mit größtmöglicher Offenheit und versuchten, den Studierenden möglichst viele Freiräume und Mitbestimmungsmöglichkeiten zu geben. Einerseits waren wir beeindruckt, wie gut die Studierenden mit den unterschiedlichen Praxiserfahrungen umgingen und sich auf die Offenheit und Unsicherheit einließen. Andererseits gab es auch Momente, die wir als fragwürdig empfanden: So wurde der Wunsch geäußert, vor Beschreibungen konflikthafter Praxissituationen ggf. eine „Triggerwarnung“ einzufügen. Dies widerspräche aus unserer Sicht elementarer professioneller Kompetenzen, auch mit schwierigen Erfahrungen angemessen umzugehen. Diese Erfahrungen von Unsicherheit und möglichen Grenzen der Teilnehmer*innen brachten die Möglichkeit mit sich, dass Situationen im Seminar entstehen könnten, die sich unserer Kontrolle entzogen und auf die wir dann spontan reagieren würden müssen. Dabei haben wir manchmal auch unsere traditionelle Rolle als Lehrende aufgegeben und einen sicheren Raum für die Studierenden und uns geschaffen. Allerdings führte dieses Vorgehen gerade bei der Benotung zu einer anderen widersprüchlichen Situation: Dieser Widerspruch drückte sich einerseits in dem formalen Zwang zur Benotung und andererseits in dem geschützten Rahmen aus, in dem die Studierenden und wir uns ausprobieren konnten. Als Kompromiss entschieden wir uns für mehrere Prüfungselemente, die aber vor allem reflexiven Charakter hatten. Darüber hinaus zeigte sich natürlich auch eine Spannung im Arbeitsaufwand, so empfanden wir es zwar als eine bereichernde Erfahrung, dieses Seminar gemeinsam zu konzipieren und durchzuführen, aber es lag weit über dem formal berechneten Zeitaufwand der Hochschule.  

Umfeld

Wirkung

Entwicklung und Ausleben von forschender Neugier

Umgang mit Fehlern und Misserfolgen

Erwerb von methodischen Kenntnissen

Erwerb von Schreibkompetenzen

Erkennen von Zusammenhängen zwischen Studium und Beruf

Welchen Einfluss entfaltet mein Angebot zum forschenden Lernen?

Ein besonders wichtiger Effekt des Seminars war, dass die Studierenden erlebten, wie Hochschulbildung helfen kann, Praxis zu verstehen, systematisch zu erforschen und zu reflektieren. So waren die Studierenden begeistert, dass ihre Erfahrungen zum Gegenstand von Lehre und Forschung wurden und sahen einen Mehrwert in der theoretischen Reflexion von Praxiserfahrungen.  
Vor allem die Unsicherheit und das Einlassen auf Neues (z. B. in Bezug auf die Theatermethoden) führte dazu, dass im Seminar eine Vertrauensebene entstand und das soziale Lernen gesteigert wurde.   
Auch für uns Lehrende wirkte das Seminar vor allem in Bezug darauf, wie spannend es ist, neue sozialarbeiterische Forschungsansätze (z. B. Theatermethoden) auszuprobieren und mit den Studierenden Neuland zu betreten. In diesem Zusammenhang war es eine besonders schöne Erfahrung, das Seminar gemeinsam als Team zu leiten, sich gegenseitig unterstützen zu können und auf die Expertise des anderen zu vertrauen. 
 

Flaschenpost
  • Prof. Dr. Johannes Kloha & Prof. Dr. Veit Güssow
  • Universität Hamburg
  • 2024
  • Das hier vorgestellte Beispiel zum forschenden Lernen findet in der Sozialen Arbeit statt und untersucht die Praxiserfahrungen der Studierenden mit Hilfe von ethnographischen Praxisprotokollen und szenischer Arbeit.

  • Fallbeispiel oder Praxisbericht (z.B. Projektbeschreibung)
  • Text/Textdokument
  • Deutsch
  • CC BY SA (unsere Empfehlung: Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen)
  • Kloha, Johannes & Güssow, Veit (2024). Rollenspiel und szenische Inszenierung als Möglichkeiten der Fallanalyse und des forschenden Lernens. Insel der Forschung: Beispiele & Good Practices.
  • Studieneingangsphase Master (1.-2. Semester)
  • Soziale Arbeit