Umfeld

TH Köln

Digital Science & Library and Information Science

Master-Studierende

Durchführung: mehr als 3-mal

6 CP & 4 SWS

Anzahl der Studierenden: circa 8-10

In welchem Umfeld habe ich mein Angebot zum forschenden Lernen umgesetzt?

Unser Angebot zum forschenden Lernen findet in zwei Modulen Open Science und Open Science & Science Communication in den beiden Masterstudiengängen Digital Science & Library and Information Science an der TH Köln statt. In den Modulen geht es darum, dass die Studierenden forschen, indem sie anhand eines bereits veröffentlichten wissenschaftlichen Artikels ihrer Wahl die Forschungsschritte nachstellen, erweitern und kritisch hinterfragen. Die Studierenden sind frei in der Wahl der inhaltlichen Schwerpunkte und können sich mit sehr unterschiedlichen Themen auseinandersetzen. Die Bearbeitung erfolgt in Zweier- oder Dreiergruppen. Neben der eigenen Forschung erhalten die Studierenden von uns thematische Inputs zu Forschungsdatenmanagement und Publikationsprozessen. Da einige unserer Studierenden bereits ein anderes Masterstudium abgeschlossen haben, zeichnen sie sich durch ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Engagement aus.

Umfeld

Grund

Persönliches professionelles Anliegen

Ein Defizit bzw. ein Konflikt

Was war der Grund dafür, dass ich mich für das forschende Lernen entschieden habe?

Der Hauptgrund für diese Art der Modulgestaltung und die Fokussierung auf die eigene Forschung der Studierenden basiert u.a. auf einem früheren Defizit der Studierenden bei der Anfertigung von Abschlussarbeiten. So ist uns aufgefallen, dass viele Studierende in ihren wissenschaftlichen Projekten ihre Forschungsschritte nicht 100%ig sauber und nachvollziehbar dokumentiert haben, was aber gerade in Open Science Studiengängen von großer Bedeutung ist. Um den Studierenden zu vermitteln, wie wichtig eine transparente und nachvollziehbare Dokumentation der einzelnen Forschungsschritte ist, beschlossen wir, unser Angebot zum forschenden Lernen so auszurichten, dass die Studierenden durch das Reproduzieren einer Forschungsstudie die einzelnen Forschungsschritte selbstständig durchlaufen und dabei sehen, wie wichtig eine detaillierte und transparente Darstellung der Forschungsergebnisse ist. Darüber hinaus hatten wir ein grundsätzliches Interesse daran, das Prinzip des forschenden Lernens in einer unserer Lehrveranstaltungen umzusetzen und mit Themen rund um Open Science zu verknüpfen.

Umfeld

Umsetzung

1 Semester lang

In eine Veranstaltung eingebettet

Curricular verankert & verpflichtend

Forschungsprozess: angeleitet

Feedback: Peers, Lehrende

Forschungsergebnisse: teilweise öffentlich

Wie ist mein Lehrangebot zum forschenden Lernen genau beschaffen?

Unser Angebot zum forschenden Lernen lässt sich in drei Phasen beschreiben, die ineinander übergehen und sich gegenseitig bedingen.

In der Vorbereitungsphase führen wir einerseits mit thematischen Inputs zu Forschungsdaten und Publikationsprozessen in das Thema ein. Andererseits beginnen die Studierenden in dieser Phase mit der Suche nach einem geeigneten Thema und einer wissenschaftlichen Studie für ihren eigenen Forschungsprozess. Hier bieten sich vor allem systematische Literaturrecherchen oder quantitative Studien an. Thematisch sind die Studierenden bei der Wahl eines wissenschaftlichen Papers sehr frei und können z. B. auf psychologische oder naturwissenschaftliche Studien zurückgreifen. So wurden beispielsweise bereits Studien zu Psychologie oder Künstlicher Intelligenz in der Lehrveranstaltung reproduziert. Entscheidend für die Auswahl der Studien ist neben dem Thema auch, ob die einzelnen Forschungsschritte in den Studien transparent und detailliert dargestellt wurden und inwieweit die Daten und die Software zur Datenauswertung frei verfügbar sind. Dies sind wichtige Punkte, die bei vielen Studien nicht gegeben sind, so dass die Suche nach einer geeigneten Studie einige Zeit in Anspruch nehmen kann bzw. studentische Forschungsteams sich nach eingehender Prüfung gegen die ausgewählte Studie entscheiden und erneut mit der Suche beginnen müssen. Nachdem sich die Forschungsteams für eine Studie entschieden haben, arbeiten sie sich weitgehend selbstständig in die Theorie und die gewählte Methode der Studie ein. Im Plenum und in Einzelgesprächen diskutieren die Studierenden ihre ausgewählten Studien und erhalten Feedback und Tipps, zur Kommunikation mit den ursprünglichen Forschenden über Daten- und Softwarelizenzen bis hin zu Abbruchkriterien für den Reproduktionsversuch, von uns Lehrenden und ihren Mitstudierenden. Alle Gruppen stellen außerdem ihre ersten Ergebnisse in einer kurzen Zwischenpräsentation dar, wodurch es zu weiterem Austausch, Feedback und Diskussionen kommt.
In Bezug auf das forschende Lernen erfahren die Studierenden vor allem bei der Wahl des Themas und der Studie viel Entscheidungsfreiheit, während sie sich bei der theoretischen Auseinandersetzung und der methodischen Herangehensweise an der Studie orientieren. Gleichwohl können die Studierenden diese Punkte für weitere theoretische Überlegungen nutzen und ggf. über andere methodische Ansätze nachdenken, die sie (wenn es die Zeit und die Studie erlaubt) nach der Reproduktion der Studie zu deren Replikation anwenden können.

In der Durchführungsphase beginnen die einzelnen Forschungsgruppen dann mit der Nachstellung der Studie und werten die dort beschriebenen Daten eigenständig aus. Häufig haben sie dabei Probleme, kommen nicht ans Ziel oder kommen dabei zu anderen Ergebnissen als in der ursprünglichen Studie und haben dann die Aufgabe, mögliche Fehler in ihrer Datenauswertung oder -interpretation zu identifizieren bzw. Fehler in der ursprünglichen Studie nachzuweisen. In diesem Zusammenhang diskutieren sie die Ergebnisse und vergleichen ihre Ergebnisse und Interpretation mit der der Originalstudie. Da die Reproduktion von Studien sehr vielfältige Herausforderungen mit sich bringen kann, ist es sehr unterschiedlich, wie weit die Studierenden in dieser Forschungsphase kommen.

Manche Forschungsgruppen schaffen es in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht mal, die Forschung der anderen Studie zu vollständig reproduzieren, weil z. B. die Datenlage unklar ist, die Forschungsschritte in der Studie nicht detailliert genug beschrieben wurden oder die Einarbeitung in die Datenauswertungstools doch wesentlich mehr Zeit in Anspruch genommen hat als erwartet. Andere Studierende hingegen können ihre Studie schnell reproduzieren und dann weitere damit zusammenhängende Forschungsfragen theoretisch oder empirisch untersuchen. Für uns Lehrende ist an dieser Stelle nicht wichtig, wie weit die Studierenden in ihrer Forschung kommen, sondern wir bewerten nur, wie intensiv sie sich mit der Studie und der damit in Verbindung stehenden Datenanalyse und all ihren Hürden auseinandergesetzt haben. Im Vergleich zu klassischen Formaten des forschenden Lernens liegt in unserem Seminar der Schwerpunkt der Forschungstätigkeit auf der Datenanalyse, während die Datenerhebung nur vereinzelt als weiterführende Forschung behandelt wird. Auch in dieser Phase gibt es verschiedene Möglichkeiten des Austauschs zwischen den Studierenden, die teils im Plenum, teils in Einzelgesprächen stattfinden. So reflektieren wir gemeinsam den Forschungsprozess und können Studierende unterstützen, die an einer bestimmten Stelle der Datenauswertung nicht weiterkommen. Wichtig ist, dass wir als Lehrende dabei vor allem eine moderierende Rolle einnehmen.

Die Präsentationsphase ist durch zwei wichtige Aspekte gekennzeichnet. Zum einen fassen die Studierenden in einer Präsentation die Originalstudie und ihre Ergebnisse zusammen und beschreiben, wie sie diese reproduziert haben, welchen Herausforderungen sie dabei begegnet sind und welche Erkenntnisse sie dabei gewonnen haben. Zum anderen stellen die Studierenden ihre Forschung im Anschluss im Plenum zur Diskussion. In dieser Phase reflektieren wir auch, was eine transparente und detaillierte Beschreibung von Forschung ausmacht und warum diese gerade im Bereich Open Science so wichtig ist. Darüber hinaus ermutigen wir die Studierenden, ihre Ergebnisse und Datensätze selbst und nach den selbst erarbeiteten Standards von Open Science zu veröffentlichen (z. B. auf GitHub), wobei diese Entscheidung den Studierenden überlassen bleibt.

Umfeld

Spannungen

Studentischer Heterogenität und Gerechtigkeitsfragen

Studentischer Kompetenzentwicklung & Anforderungen des For

Veränderten Lehrenden-Rolle & der vorhandenen Lehrtradition

Welche Spannungen ergeben sich beim forschenden Lernen?

Eine grundlegende Spannung entsteht durch die verschiedenen Studien, welche die Studierenden selbst wählen. Auf der einen Seite ermöglicht dies den Studierenden, ihren Interessen nachzugehen und unterstreicht die Wahlfreiheit des Seminars. Auf der anderen Seite führen die verschiedenen Studien dazu, dass die weiteren Forschungswege sehr unterschiedlich verlaufen. So können einige Gruppen sehr leicht die Forschung der Originalstudie reproduzieren und sich dann mit weiterführenden Fragen oder Methoden beschäftigen, während andere viele Herausforderungen bei der Reproduktion der Originalstudie überwinden müssen, was zu Frustration und dem Gefühl führen kann, dass die anderen schneller oder effizienter arbeiten. Wir versuchen, diese Spannungen und die Diversität unseres Seminars gleich zu Beginn des Semesters und auch während des Semesters immer wieder zu kommunizieren und auch in der Benotung zu zeigen, dass wir vor allem den Prozess und die Tiefe der Auseinandersetzung bewerten. So können wir dieser Spannung entgegenwirken, auch wenn wir sie natürlich nicht ganz auflösen können. Auch für uns als Lehrende ergibt sich an dieser Stelle ein Spannungsfeld, da wir natürlich je nach Thema, Forschungsmethode oder Datenanalysetools unterschiedliche Erfahrungen mitbringen und somit die Studierenden in Abhängigkeit von der gewählten Studie und dem damit verbundenen Forschungsansatz besser oder schlechter beraten können. Dies führt dazu, dass wir als Lehrende uns immer wieder mit Fragen der Gerechtigkeit auseinandersetzen und überlegen müssen, wie wir studentische Forschungsgruppen betreuen können, deren Thema, Forschungsmethodik oder Datensätze wenig mit unseren Schwerpunkten zu tun haben. Auch wenn diese Aufgabe zeitaufwändig und arbeitsintensiv ist, bietet sie uns als Lehrenden dennoch die Möglichkeit, Neues zu lernen und uns im Rahmen der Lehre in interessante Themen und Ansätze einzuarbeiten.

Ein weiteres Spannungspotential kann sich aus den Erkenntnissen ergeben, die bei der Reproduktion der Originalstudien gewonnen werden und zu ethischen Konfliktsituationen führen. So kann es vorkommen, dass Studierende bei der Reproduktion Fehler in der ursprünglichen Studie erkennen und dann überlegen müssen, wie sie mit dieser Situation umgehen. Dies ist vor allem dann problematisch, wenn die Studie von erfahrenen Forschenden durchgeführt wurde oder die Studierenden planen, weiter in der Wissenschaft tätig zu sein. Sie haben dann oft Angst, sich durch die Thematisierung des Fehlers Feinde im wissenschaftlichen Kontext zu machen oder befürchten, dass sie etwas falsch verstanden haben und der eigentliche Fehler bei ihnen liegt. Unsere Aufgabe als Lehrende ist es dann, die Studierenden zu beraten und gemeinsam mit ihnen zu prüfen, ob es sich tatsächlich um einen Fehler handelt. Die letzte Entscheidung, ob und inwiefern sich an die Verfassenden der ursprünglichen Studie gewandt wird, überlassen wir allerdings den Studierenden. Entscheiden sich die Studierenden, den entdeckten Fehler zu thematisieren, können die Reaktionen sehr unterschiedlich ausfallen. Während manche Forschenden sehr dankbar für die Information sind und sogar gemeinsam mit den Studierenden eine neue, überarbeitete Version der Studie herausgegeben haben, reagieren andere gar nicht, was zu weiteren Spannungen führen kann. An dieser Stelle müssen sowohl die Studierenden als auch wir die Spannung aushalten und von Fall zu Fall abwägen, ob das Eingehen von Risiken oder die offene Kommunikation von Fehlern der richtige Weg ist. Obwohl dies für alle Beteiligten anstrengend ist, führt die Thematisierung auch dazu, dass die Studierenden schon früh über Forschungsmanagement, gute wissenschaftliche Praxis und wissenschaftliche Integrität nachdenken und die Bedeutung von nachvollziehbarer und transparenter Forschung verstehen.

Umfeld

Wirkung

Förderung forschender Neugier

Umgang mit Fehlern und Misserfolgen

Anknüpfung an bestehende Forschung

Auseinandersetzung mit Fachliteratur

Welchen Einfluss entfaltet mein Angebot zum forschenden Lernen?

Der Haupteffekt des Angebots zum forschenden Lernen ist, dass die Studierenden eine wirkliche Vorstellung davon bekommen, was sich hinter dem Begriff Open Science verbirgt und wie wichtig die transparente und detaillierte Darstellung von Forschungsschritten ist. Diese Erkenntnis spiegelt sich sowohl in den Reflexionsmomenten innerhalb des Seminars als auch in den Präsentationen und anderen Forschungsarbeiten wider, in denen die Studierenden viel mehr Wert auf die transparente Darstellung und Publikation ihrer Forschung legen. Darüber hinaus führt der Wunsch nach transparenter und detaillierter Darstellung auch dazu, dass die Studierenden genauer und sauberer forschen und auch für gute wissenschaftliche Praxis sensibilisiert werden. Sie setzen sich intensiver mit den einzelnen Forschungsschritten auseinander und erkennen auch, wie diese ineinandergreifen.

Die verschiedenen Reflexionen in der Lehrveranstaltung sowie die ethischen Diskussionen zu Open Science zeigen den Studierenden außerdem, wie komplex Forschung ist und welche Herausforderungen damit verbunden sind. In diesem Zusammenhang diskutieren wir, wie es dazu kommen kann, dass einige Forschende teilweise nicht wissenschaftlichen Standards folgen und sprechen über Konflikte im Wissenschaftsbetrieb, die sich z. B. im hohen Publikationsdruck äußern. So erhalten die Studierenden einen tiefen Einblick und lernen bereits im Masterstudium Spannungen und Konflikte in der Wissenschaft kennen, was ihnen ein realistischeres Bild vermittelt und sie gleichzeitig für die Wichtigkeit von Open Science und gewissenhafter Forschung sensibilisiert.

Flaschenpost
  • Prof. Dr. Claudia Frick, Prof. Dr. Mirjam Blümm
  • Technische Hochschule Köln
  • 2024
  • Das hier vorgestellte Angebot zum forschenden Lernen findet in den Studiengängen Digital Science & Library and Information Science statt und zeigt, wie Studierende durch die Reproduktion einer wissenschaftlichen Studie verschiedene Forschungsschritte durchlaufen.

  • Fallbeispiel oder Praxisbericht (z.B. Projektbeschreibung)
  • Flaschenpost
  • Text/Textdokument
  • Deutsch
  • CC BY SA (unsere Empfehlung: Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen)
  • Frick, Claudia & Blümm, Mirjam (2024). Forschendes Lernen im Bereich der Open Science. Insel der Forschung: Beispiele & Good Practices.
  • Studieneingangsphase Master (1.-2. Semester) | > 3. Master Semester
  • Digital Science & Library and Information Science