Die folgende Textsequenz bzw. Fallvignette schildert eine Situation im Kontext einer Lehre, die forschendes Lernen zum Ziel hat. Die beschriebene Situation fordert Sie als Lehrende heraus und verlangt möglicherweise von Ihnen, dass Sie unmittelbar handeln. Ziel der Bearbeitung der Fallvignette ist es, dass Sie sich Gedanken darüber machen können, was Sie in einer solchen Situation tun oder wie Sie eine solche verhindern könnten. Vielleicht aber schätzen Sie die Situation auch als problemlos und eher lernförderlich ein. So oder so können sich auf diese Weise sozusagen präventiv mit möglichen Herausforderungen vertraut machen und Ihre eigenen Bewertungen und Handlungsimpulse reflektieren.
Die beschriebenen Situationen stammen aus Interviewdaten mit Koordinator_innen von Projekten zum forschenden Lernen und wurden für den genannten Zweck zugespitzt. Es wurden die geläufigsten Herausforderungen, die in Lehrangeboten zur Förderung forschenden Lernens vorkommen, ausgewählt und in Fallvignetten umgewandelt.
Bergfest! Das Semester ist halb vorbei und Sie stellen fest, dass es zwischen den Projektgruppen in Ihrer Veranstaltung große Leistungs- und Motivationsunterschiede gibt. Neben einem dünnen Mittelfeld gibt es zwei extreme Überfliegergruppen, von deren Motivation und entsprechend deren Forschungsverlauf Sie stark beeindruckt sind. Daneben gibt es auch zwei Gruppen, die nicht so richtig in Fahrt kommen und ein Team, das einfach nur das Allernotwendigste macht. Sie sind unsicher, wie Sie damit umgehen wollen. Einerseits zielt die Veranstaltung gerade auf Eigenverantwortung und Selbststrukturierung ab. Andererseits bekommen die Gruppen untereinander auch nicht mit, wie weit sie auseinanderliegen, entsprechend müssten Sie als regulierendes Element eintreten – sofern Sie das überhaupt möchten.
Reflexionsfragen
- Haben Sie im Vorfeld Ihre Maßstäbe für die
Arbeitsergebnisse transparent gemacht? - Wie zufrieden oder unzufrieden wären Sie mit
sehr heterogenen Ergebnissen? - Welche Vorteile und Nachteile sprechen für
eine klarere Strukturierung, welche für eine freiere Begleitung? - Sehen Sie sich in der Verantwortung
regulierend zu agieren? - Wenn Sie den Prozess beeinflussen würden: Würden
Sie es sich selbst oder den Studierenden zuliebe tun?
Haltungen und Umgangsweisen
Im Folgenden werden einerseits Haltungen, andererseits präventives und intervenierendes Handeln und in der geschilderten Situation präsentiert. Zunächst werden Haltungen geschildert. Diese haben Auswirkungen darauf, ob und wie reagiert wird. Anschließend werden Handlungen präsentiert. Sie sind Beispiele aus der Praxis, wie Lehrende an Hochschulen mit der Situation umgehen: präventiv oder intervenierend. Zudem werden indirekte Maßnahmen aufgeführt, die sozusagen „über Bande“ Wirkung entfalten können.
Haltungen
Haltungen umfassen keine konkreten Maßnahmen, sondern beschreiben die innere Einstellung von Lehrenden (oder Koordinierenden) zu unterschiedlichen Situationen. In Abhängigkeit von der Haltung können Situationen als „problematisch“ und „herausfordernd“, aber auch als „erwünscht“ und „normal“ interpretiert werden.
Studierende eigenständig den Prozess organisieren lassen
Sie sind überzeugt, dass Studierende selbst die Verantwortung für ihr Projekt übernehmen sollten. Sie gehen davon aus, dass Lehrende nur in Fällen, in denen die Gruppenarbeit erkennbar aus dem Ruder läuft, eingreifen sollten. Leistungsunterschiede sind Ihnen im Verlauf des Prozesses folglich egal.
In dieser Fallvignettensituation könnte dies auf der Handlungsebene bedeuten:
Sie halten sich zurück und wirken nicht auf den Prozess ein.
Präventives Handeln
Präventives Handeln verhindert die beschriebene Situation bzw. macht sie weniger wahrscheinlich, denn eine Garantie für die Vermeidung solcher Konflikte gibt es nicht.
Vor Projektstart Teamentwicklung durchführen
Sie organisieren zu Projektbeginn ein (externes) Angebot zur Teamentwicklung für die Teilnehmenden des Angebots zum forschenden Lernen. Darin erleben die Studierenden welche positiven Auswirkungen es hat, wenn das Team durch unterschiedliche Rollenträger_innen – wie beispielsweise Protokollant_in, Zeitwächter_in, Sprecher_in, Advocatus Diaboli, etc. – strukturiert wird.
Nutzen für die Fallvignettensituation:
Die Gruppen werden angeleitet, sich besser zu strukturieren und zielgeleiteter zu arbeiten.
Ansprechpartner für die Lerperson festlegen
Sie fordern zu Beginn mindestens einen oder eine Ansprechpartner_in pro Gruppe ein, mit denen Sie regelmäßige kurze, informelle Rücksprachen halten.
Nutzen für die Fallvignettensituation:
Über diesen relativ informellen Weg können Sie sich niedrigschwellig mit den Gruppen austauschen und einfacher Gruppenziele und Zufriedenheit abfragen. Andererseits können Sie auch leichter auf den Prozess einwirken, oder zumindest Handlungsoptionen einfacher in den Raum stellen.
Strukturierungsbedarf der Gruppe erfragen
Zu Beginn des Semesters können Sie bei den Studierenden abfragen, wie intensiv sie betreut werden möchten und wie viel Struktur sie sich wünschen. In Abhängigkeit davon können Sie dann auf die Wünsche eingehen.
Nutzen für die Fallvignettensituation:
Die Studierenden übernehmen von Beginn an selbst die Verantwortung dafür, wie viel Sie als Lehrperson sich in den Prozess der Einzelgruppe involvieren. Sie müssen folglich nicht selbst entscheiden, ob Sie nachregulieren.
Indirekte (begleitende) Maßnahmen
Die begleitenden Maßnahmen wirken nicht direkt auf die Studierenden ein, sondern eher „über Bande“, in diesem Fall Dritte Akteur_innen.
Teambegleiter einsetzen
Sie können auch beispielsweise Tutor_innen als Teambegleiter_innen einsetzen. Diese beobachten den Prozess und geben in regelmäßigen Abständen Feedback zu Gruppenverhalten und dem Forschungsprozess. Außerdem könnten sie am Ende des Semesters auch eine Zusammenfassung ihrer Beobachtungen für die Studierenden über deren Verhalten (und damit auch Stärken und Schwächen) im Forschungs- und Gruppenprozess verfassen.
Nutzen für die Fallvignettensituation:
Die Teambegleiter_innen übernehmen die Rolle der Feedbackgebenden, dadurch werden Unterschiede oder gar Defizite explizit und die Studierenden können sich entscheiden, was sie daraus machen.
Projektpräsentation als Feedbackgelegenheit nutzen
Sie organisieren zu Semesterende eine Veranstaltung, bei der die Studierenden einander ihre Ergebnisse vorstellen.
Nutzen für die Fallvignettensituation:
Einerseits wissen die Studierenden von Anfang an, dass sie selbst verantwortlich für ihre Ergebnisse sind und arbeiten dadurch möglicherweise etwas engagierter. Andererseits sehen sie auf der Veranstaltung auch, was in der Zeit hätte geschafft werden können und erhalten so Feedback über ihren Prozess im Vergleich zu Peers, das nicht von einer Autoritätsperson gegeben, sondern „natürlich“ bzw. neutral vermittelt wird.
- Projekt FideS-Transfer
- 2020
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Bergfest! Das Semester ist halb vorbei und Sie stellen fest, dass es zwischen den Projektgruppen in Ihrer Veranstaltung große Leistungs- und Motivationsunterschiede gibt. Neben einem dünnen Mittelfeld gibt es zwei extreme Überfliegergruppen, von deren Motivation und entsprechend deren Forschungsverlauf Sie stark beeindruckt sind. Daneben gibt es auch zwei Gruppen, die nicht so richtig in Fahrt kommen und ein Team, das einfach nur das Allernotwendigste macht. Sie sind unsicher, wie Sie damit umgehen wollen. Einerseits zielt die Veranstaltung gerade auf Eigenverantwortung und Selbststrukturierung ab. Andererseits bekommen die Gruppen untereinander auch nicht mit, wie weit sie auseinanderliegen, entsprechend müssten Sie als regulierendes Element eintreten – sofern Sie das überhaupt möchten.
- Fallvignette
- Deutsch
- CC BY SA (unsere Empfehlung: Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen)
- Preiß, J., Bartels, M., Herrmann, A.-C., Krein, U., Lübcke, E. & Reinmann, G. (2020). Fallvignette: Shootingstars und lahme Enten. Hamburg; Kaiserslautern; Potsdam: Projekt FideS-Transfer.