Die folgende Textsequenz bzw. Fallvignette schildert eine Situation im Kontext einer Lehre, die forschendes Lernen zum Ziel hat. Die beschriebene Situation fordert Sie als Lehrende heraus und verlangt möglicherweise von Ihnen, dass Sie unmittelbar handeln. Ziel der Bearbeitung der Fallvignette ist es, dass Sie sich Gedanken darüber machen können, was Sie in einer solchen Situation tun oder wie Sie eine solche verhindern könnten. Vielleicht aber schätzen Sie die Situation auch als problemlos und eher lernförderlich ein. So oder so können sich auf diese Weise sozusagen präventiv mit möglichen Herausforderungen vertraut machen und Ihre eigenen Bewertungen und Handlungsimpulse reflektieren.

Die beschriebenen Situationen stammen aus Interviewdaten mit Koordinator_innen von Projekten zum forschenden Lernen und wurden für den genannten Zweck zugespitzt. Es wurden die geläufigsten Herausforderungen, die in Lehrangeboten zur Förderung forschenden Lernens vorkommen, ausgewählt und in Fallvignetten umgewandelt.

Planung für das kommende Semester. Sie sind schon voller Vorfreude, weil Sie dieses Semester endlich forschendes Lernen im Rahmen eines Seminars anbieten. Sie haben das Konzept fast vollständig ausgearbeitet. Aber eine große Lücke gibt es noch im Plan: Wie soll die Prüfung der Studierenden aussehen? Schließlich wissen Sie jetzt noch nicht, was die Studierenden im Zuge ihrer Forschungstätigkeiten letztlich lernen werden. Außerdem gibt es Modulvorgaben, an die Sie sich halten müssen – aber passen die überhaupt zu Ihrem neuen Format?

Reflexionsfragen

  • Welche Erfahrung der Studierenden hat für Sie
    oberste Priorität in Ihrem Veranstaltungskonzept – und wie könnte eine Prüfung
    dafür gestaltet sein?
  • Welche Modulvorgaben gibt es an Ihrer
    Hochschule?
  • Welche Artefakte der Studierenden, die im
    Forschungsprozess anfallen, eignen sich zur Prüfung?

Strategien an anderen Hochschulen

Im Gegensatz zu den anderen Fallvignetten präsentieren wir Ihnen hier Prüfungsstrategien von unseren Samplepartnern.

E-Portfolio als Prüfungsformat

Studierende legen semesterbegleitend ein (e-)Portfolio an, für das Sie anfänglich die Struktur festlegen. Es kann ganz unterschiedliche Formen annehmen, so kann es beispielsweise zu Dokumentations-, Planungs- und Reflexionszwecken genutzt werden, zum Beispiel als Berichtsheft. Es kann sich aber auch aus diversen Artefakten zusammensetzen, wie Sitzungsdokumentationen, schriftlichen Ausarbeitungen, aber auch Moderationsleistungen, etc.

Nutzen dieser Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Die Studierenden können die strukturierenden Elemente eines solchen (e-)Portfolios für den laufenden Prozess nutzen. Dadurch werden sie außerdem immer wieder zur Reflexion angeregt. Wird das Portfolio als Prüfungsleistung eingesetzt, wird diese so über die Projektlaufzeit verteilt. Insbesondere bei eher gestalterisch-konstruierenden Fachdisziplinen wird so ermöglicht, dass nicht nur das finale Ergebnis bewertet und mit Feedback bedacht wird, sondern der gesamte Prozess.

Ergebnispräsentation auf einer Konferenz oder vor Praxispartner_innen

Sie organisieren die Teilnahme an einer Konferenz, auf der die Ergebnisse der studentischen Forschungsprojekte präsentiert werden, planen eine eigene kleine (Poster-)Präsentation oder ggf. die Vorstellung der Ergebnisse vor Praxispartner_innen.

Nutzen dieser Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Die Studierenden haben die Gelegenheit, den professionellen Kontext, in dem sie sich mit ihrer Forschung bewegen, kennenzulernen und können sich den hohen Anspruch zur Motivation zunutze machen. Mit der Ergebnispräsentation vor Dritten erleben sie zudem einen genuinen Teil des Forschungsprozesses.

Forschungsförderantrag als Prüfungsleistung

Die Studierenden arbeiten einen fiktiven Förderantrag für eine reale Institution aus.

Nutzen dieser Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Die Studierenden müssen sich zunächst mit dem potenziellen Forschungsgegenstand auseinandersetzen, den Forschungsstand erschließen, eine Fragestellung entwickeln und eine geeignete Methode auswählen. Somit erhalten sie bereits einen tiefen Einblick in essentielle Schritte eines Forschungsprozesses. Darüber hinaus werden die Studierenden mit den Modalitäten für die Beantragung von Fördermitteln vertraut gemacht.

Unbenotete Prüfungsleistung

Wenn die Prüfungsordnung nicht zwingend eine Benotung vorsieht, können Sie bspw. Protokolle, Berichte, Ergebnispräsentationen oder einfach die im Forschungsprozess entstehenden Artefakte (als unmittelbare Nachweise der Forschungsleistung) als Voraussetzung für das Bestehen des Kurses heranziehen.

Nutzen dieser Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Der Fokus wird von der Note weggelenkt auf den eigentlichen Prozess, was den Studierenden die Möglichkeit gibt, selbstbestimmter zu agieren und der eigenen Arbeit gegenüber kritischer zu sein, da sie sie nicht vor Benotenden verteidigen müssen.

Gruppenarbeit mit erkennbarer Eigenleistung

Die Studierenden geben eine in der Gruppe erarbeitete Hausarbeit bzw. einen Projektbericht ab und kennzeichnen ihre eigenen Textabschnitte.

Nutzen dieser Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Die Studierenden müssen keine „unnatürliche“ Einzelleistung erbringen, wenn sie in Gruppen gearbeitet haben; trotzdem ist ihr Eigenanteil klar ersichtlich, sodass die Benotung individuell vorgenommen werden kann.

Kombinierte Prüfung

Wenn für das Modul eine Klausur vorgesehen ist, Sie aber auch die Ergebnisse des Forschungsprojekts in die Benotung aufnehmen wollen, können Sie die Bewertung zu jeweils 50% auf Klausur und Ergebnispräsentation aufteilen.

Nutzen dieser Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Falls Sie auf die Klausur nicht verzichten können, wird auf diese Art sichergestellt, dass den Projektergebnissen ebenfalls ein hoher Stellenwert zukommt und sie nicht Gefahr laufen, als zweitrangig behandelt zu werden.

Prozessorientierter Projektbericht

Im Projektbericht sollen die Studierenden darlegen, wie ihr Forschungsprozess verlaufen ist und begründen, warum sie bestimmte Entscheidungen getroffen haben.

Nutzen dieser Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Die Bewertung wird stärker an der Reflexion ausgerichtet als am Ergebnis des Forschungsprozesses. Studierende können erfahren, dass bspw. das Offenlegen von Herausforderungen und Benennen von Einschränkungen zum wissenschaftlichen Arbeiten dazugehört.

Präsentation vor einer Jury

Die Studierenden präsentieren das Ergebnis ihres Forschungsprojekts vor einer Jury, bspw. aus dem Fachkollegium oder Kommiliton_innen höheren Semesters.

Nutzen dieser Maßnahme für die Fallvignettensituation: Neben der Ergebnispräsentation müssen die Studierenden sich auch auf kritische Rückfragen aus der Jury vorbereiten und üben dabei, ihre Forschungsarbeit zu verteidigen.

Mehrstufiges Verfahren

Studierende gehen zunächst einer individuelle Forschungsfrage (orientiert am Großthema) im Rahmen einer kleinen Hausarbeit nach. Danach schließen sich Studierende mit ähnlichen Fragen zu Gruppen zusammen und verfassen ein gemeinsames Forschungsexposé. Zum Abschluss der Forschungstätigkeit wird eine Abschlusskonferenz durchgeführt, auf der Studierende in universitätsinterner Öffentlichkeit ihre Ergebnisse präsentieren.

Nutzen dieser Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Sie kombinieren mehrere Teilleistungen, sodass die Note nicht auf einem einzigen Artefakt beruht. Mit der Bewertung von Exposé und Ergebnispräsentation wird zugleich die Bedeutung dieser Phasen des Forschungsprozesses betont.

Erste Arbeit unbenotet

Sie lassen vor der eigentlichen Prüfungsleistung eine erste Ausarbeitung anfertigen, die kommentiert, aber – im Gegensatz zur Prüfungsleistung am Ende des Projekts – nicht benotet wird.

Nutzen dieser Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Die so entstehenden Ideen und Texte sind freier und mutiger, wenn klar ist, dass sie nicht gleich bewertet werden, was sich positiv auf den Projektverlauf und die Motivation der Studierenden auswirken kann.

Studierende selbst Prüfungsfragen entwickeln lassen

Statt selbst eine Klausur zur Überprüfung des Lernfortschritts zu entwerfen, können Sie diese Aufgabe an die Studierenden abtreten.

Nutzen dieser Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Im forschenden Lernen ist es nahezu unmöglich, Lernziele zuvor festzulegen und deren Erreichen zu überprüfen. Überlegen sich die Studierenden selbst ihre Prüfungsaufgaben, werden sie dazu angeregt, zu reflektieren, was sie in dem Semester gelernt haben könnten und was davon tatsächlich „hängen geblieben“ ist. Die Prüfungsleistung kann sich dann aus dem Entwickeln der Fragen und deren Beantwortung zusammensetzen. Die Form der Bearbeitung (einzeln in Präsenz oder ein freieres Format) können Sie nach Einsicht der Klausurfragen immer noch festlegen.

  • Projekt FideS-Transfer
  • 2020
  • Planung für das kommende Semester. Sie sind schon voller Vorfreude, weil Sie dieses Semester endlich forschendes Lernen im Rahmen eines Seminars anbieten. Sie haben das Konzept fast vollständig ausgearbeitet. Aber eine große Lücke gibt es noch im Plan: Wie soll die Prüfung der Studierenden aussehen? Schließlich wissen Sie jetzt noch nicht, was die Studierenden im Zuge ihrer Forschungstätigkeiten letztlich lernen werden. Außerdem gibt es Modulvorgaben, an die Sie sich halten müssen – aber passen die überhaupt zu Ihrem neuen Format?

  • Fallvignette
  • Deutsch
  • CC BY SA (unsere Empfehlung: Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen)
  • Preiß, J., Bartels, M., Herrmann, A.-C., Krein, U., Lübcke, E. & Reinmann, G. (2020). Fallvignette: Prüfungsstress. Hamburg; Kaiserslautern; Potsdam: Projekt FideS-Transfer.
  • übergreifend