Die folgende Textsequenz bzw. Fallvignette schildert eine Situation im Kontext einer Lehre, die forschendes Lernen zum Ziel hat. Die beschriebene Situation fordert Sie als Lehrende heraus und verlangt möglicherweise von Ihnen, dass Sie unmittelbar handeln. Ziel der Bearbeitung der Fallvignette ist es, dass Sie sich Gedanken darüber machen können, was Sie in einer solchen Situation tun oder wie Sie eine solche verhindern könnten. Vielleicht aber schätzen Sie die Situation auch als problemlos und eher lernförderlich ein. So oder so können sich auf diese Weise sozusagen präventiv mit möglichen Herausforderungen vertraut machen und Ihre eigenen Bewertungen und Handlungsimpulse reflektieren.

Die beschriebenen Situationen stammen aus Interviewdaten mit Koordinator_innen von Projekten zum forschenden Lernen und wurden für den genannten Zweck zugespitzt. Es wurden die geläufigsten Herausforderungen, die in Lehrangeboten zur Förderung forschenden Lernens vorkommen, ausgewählt und in Fallvignetten umgewandelt.

Es stehen Reakkreditierungsgespräche Ihres Studienganges an. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen haben Sie sich vorgenommen, für Wandel zu kämpfen. Sie möchten erreichen, dass forschendes Lernen fest an Ihrer Hochschule verankert wird. Leider sind Sie sich mit Ihren Kolleginnen selbst noch nicht einig, wo und wie es am sinnvollsten implementiert werden sollte. Gleich werden Sie sich nochmal treffen, um sich final für die Reakkreditierungsgespräche vorzubereiten.

Reflexionsfragen

  • Soll das Angebot curricular oder extracurricular eingebunden werden?
  • Soll das Angebot sich über eines oder mehrere Semester erstrecken?
  • Ziehen Sie in Erwägung das Angebot interdisziplinär, transdisziplinär oder international anzulegen?
  • Sollen / können Studentische Hilfskräfte eingebunden werden?
  • Soll das Angebot mit einer (benoteten) Prüfung schließen?
  • Welche Zusatzangebote möchten Sie daran angeknüpft versuchen anzuregen?

Grundlegendes

Begriff “forschendes Lernen” schärfen

In der Auseinandersetzung über die curriculare Einbindung von forschendem Lernen kommt es oft zur Konfusion darüber, was forschendes Lernen denn überhaupt ist. Bevor die Einbettung von forschendem Lernen diskutiert werden kann, sollte zunächst eine Auseinandersetzung darüber stattfinden, wie der Begriff genutzt wird. Eine Unterstützung dazu kann die Abgrenzung zu forschungsnahem und forschungsbasiertem Lernen sowie problemorientiertem Lernen darstellen. Erst wenn eine gemeinsame Definition für den Begriff des forschenden Lernens vorliegt, bestenfalls mit einem eindeutigen Kriterienkatalog, kann die Diskussion fruchtbar durchgeführt werden. Wichtig: Es muss dabei nicht das Ziel sein, „forschendes Lernen wie es im Buche steht“ durchzuführen, andere Formate können didaktisch je nach Kontext durchaus sinnhafter sein.

Literaturempfehlungen:

Reinmann 2016: Gestaltung akademischer Lehre: semantische Klärungen und theoretische Impulse zwischen Problem- und Forschungsorientierung, 

Lübcke, Reinmann, Heudorfer 2017: Entwicklung eines Instruments zur Analyse Forschenden Lernens, 

Creditpunkte vergeben

Angebote forschenden Lernens benötigen hohes Engagement und Arbeitsaufwand von Studierenden. Eine angemessene Vergütung mit Creditpunkten kann die Studierenden darin unterstützen, auch Tiefphasen zu durchstehen und das Projekt bis zum Abschluss durchzuführen. (Gleichzeitig gibt es auch viele extracurriculare Angebote forschenden Lernens, die keine Creditpunkte vergeben – dies wäre demnach auch denkbar.)

Einheitliche Creditpunktevergabe

Wenn forschendes Lernen interdisziplinär durchgeführt wird, sollte dafür gesorgt werden, dass alle Teilnehmenden die gleiche Anzahl an Creditpunkten für die Beteiligung erhalten. Unterschiedliche Anerkennung führt zu destruktiven Gruppendynamiken.

Mehrere Lehrende einbinden

Für eine nachhaltige Einbettung kann es sinnhaft sein, ein Kernprojekt zu etablieren, in dessen Rahmen das Angebot forschenden Lernens durchgeführt wird und in dessen Rahmen die Koordination ggf. unterschiedlicher Angebote forschenden Lernens organisiert wird. Innerhalb dieses Kontextes können dann Studierende unterschiedlicher Fachbereiche forschendes Lernen durchführen. Um keine „Eintagsfliege“ zu schaffen, macht es Sinn, dass viele Lehrende an dem Projekt beteiligt sind, sodass Fluktuation aufgefangen werden kann. Zudem bleibt das Angebot bei den Studierenden präsent, da sie von unterschiedlichen Lehrenden darauf aufmerksam gemacht werden. Außerdem kann in nachfolgenden Veranstaltungen von den Lehrenden immer wieder auf die Erfahrungen der Teilnehmenden verwiesen werden, wenn es inhaltliche Anknüpfungspunkte gibt. Dafür braucht es transparente Kommunikation mit möglichst vielen Lehrenden.

Organisatorisches

In diesem Abschnitt werden Aspekte zur Organisation der Einbettung von forschendem Lernen beschrieben.

Zentrale Anlaufstelle für FL-Projekte einrichten

Es kann eine zentrale Anlaufstelle für Angebote forschenden Lernens, evtl. in der Hochschuldidaktik, eingerichtet werden. Diese trägt unter anderem Sorge dafür, dass Lehrende, die es anstreben ein Projekt forschenden Lernens zu initiieren, berücksichtigen, in welchem Fachbereich und welchem Modul das Projekt mit welcher Creditpunkteanzahl angerechnet werden soll. Dadurch kann auch der Weg für eine strukturelle Implementierung geebnet werden.

Ausschreibungen für Lehrende etablieren

Sie können forschendes Lernen auch als zentrales Angebot organisieren, das mit zusätzlicher Finanzierung ausgestattet ist. Diese Gelder können Sie für Lehrende ausschreiben, die ihre Lehre im Lernformat des forschenden Lernens durchführen wollen.

Studentische Hilfskräfte einsetzen

Für die strukturelle Umsetzung eines curricular eingebetteten Angebots forschenden Lernens benötigt es recht viel Personalaufwand. Eine Möglichkeit kann sein, dass studentische Hilfskräfte, die in ihrem Studium weiter vorangeschritten sind, als Tutor_innen zur Begleitung der Studierenden im Forschungsprozess einzusetzen.

Diese Tutorien können entweder forschungsprozessbegleitend oder -vertiefend angelegt sein, beispielsweise in Form von Methodentutorien.

Zeitliche Fragen

In diesem Abschnitt werden Aspekte erörtert, die sich auf die zeitliche Gestaltung von Angeboten forschenden Lernens beziehen.

Angebot über mehrere Semester strecken

Statt das Angebot zu forschendem Lernen in einem Semester durchzuführen, können Sie es auch über mehrere Semester strecken. Dadurch haben die Studierenden insgesamt mehr Zeit, es können einfacher Zwischenziele gesteckt werden und zudem können die Studierenden von ihren weiteren Studientätigkeiten und Seminaren, die parallel zu dem Projekt forschenden Lernens laufen, profitieren.

Ein gesamtes Semester nur auf forschendes Lernen ausrichten

An einer Hochschule wird das gesamte erste Semester (30 Creditpunkte) fachübergreifend dem forschenden Lernen gewidmet. Neben der eigenen Forschung besuchen die Studierenden außerdem fachübergreifende Module, beispielsweise zur Verantwortung von Wissenschaft. Am Ende des Semesters gibt es eine Konferenzwoche, danach erst werden Hausarbeiten und Prüfungen geschrieben.

Lernraumsemester ermöglichen

Statt forschendes Lernen in bestehende Module einzubinden, kann die Hochschule auch Lernraumsemester ermöglichen. Diese können Studierende anmelden und erhalten dadurch zusätzliche Zeit frei zu studieren. In dieser Zeit können sie beispielsweise extracurriculare Angebote zu forschendem Lernen durchführen, die aber mit Creditpunkten vergütet werden können, um die Teilnahme auch bspw. BAföG-Studierenden zu ermöglichen.

Vierjährigen Bachelor ansetzen

Statt den Bachelor in drei Jahren durchzuführen, kann er auch als vierjähriger Bachelor geplant werden. Dadurch bleibt den Studierenden mehr Zeit für die Sozialisation in die Institution Universität, für die fachliche und persönliche Weiterentwicklung.

Forschendes Lernen im dritten Semester durchführen

Es kann sich anbieten, Angebote forschenden Lernens nicht ganz zu Studienbeginn, aber auch nicht zu spät im Studium zu verorten. Manche Hochschulen empfehlen das dritte Semester, da die Studierenden zu diesem Zeitpunkt bereits erste Grundlagen von Forschung erfahren haben und somit nicht ganz bei null starten. Andererseits haben sie danach auch noch genug Studienzeit, beim forschenden Lernen Gelerntes im folgenden Studium zu nutzen.

Forschendes Lernen im fünften oder sechsten Semester durchführen

Andere Hochschulen haben forschendes Lernen im fünften oder sechsten Semester curricular verankert. Die Nähe zur Abschlussarbeit kann hier befruchtend wirken.

Forschenden Lernen in jedem Semester anbieten

Es kann Vorteile haben, Angebote forschenden Lernens zwei Mal im Jahr starten zu lassen. Beispielsweise teilt sich dadurch die Kohorte und es gibt weniger Teilnehmende auf einmal.

Rahmenbedingungen

In diesem Abschnitt werden mögliche Aspekte zu Rahmenbedingungen von Angeboten forschenden Lernens erörtert.

Internationalität ermöglichen

Über Kooperationen mit anderen (internationalen) Universitäten können Studierende erleben, wie Forschung zu ähnlichen oder gleichen Themen in anderen Ländern abläuft. Möglicherweise können sogar gemeinsam vergleichende Studien durchgeführt werden.

Interdisziplinarität ermöglichen

Sie können Ihr Angebot forschenden Lernens als interdisziplinäres Angebot gestalten, beispielsweise als Wahlpflichtmodul, das von Studierenden aus unterschiedlichen Fachbereichen belegt werden kann.

Module aufeinander abstimmen

Sie können das Angebot zu forschendem Lernen auch mit anderen Modulen abstimmen – so dass beispielsweise als Vorbereitung zuvor ein Methodenmodul durchgeführt wird.

Forschendes Lernen als Zusatz- und / oder Ersatzangebot anbieten

Statt forschendes Lernen für alle Studierenden obligatorisch einzuführen, kann es als Zusatz- oder Ersatzangebot für besonders starke oder besonders interessierte Studierende eingesetzt werden, die im Studienalltag unterfordert sind.

Forschendes Lernen als extracurriculares Angebot anbieten

Um die Diskussionen darüber zu vermeiden, was im Modulplan zu forschendem Lernen umgewandelt werden sollte – und dadurch womöglich „zu kurz kommt“, kann forschendes Lernen auch als extracurriculares Angebot durchgeführt werden. Um die Organisation und Durchführung gewährleisten zu können, braucht es jedoch Personalmittel – folglich die Unterstützung der durchführenden Institution.  

Forschendes Lernen als Wahlpflichtmodul einbinden

In manchen Hochschulen wird ein Modul forschenden Lernens als Wahlpflichtmodul angeboten. Dadurch können sich die Studierenden einerseits die Creditpunkte anrechnen lassen, andererseits sind die Teilnehmendenzahlen überschaubarer und die Studierenden motivierter.

Gruppenarbeit nur über ein Semester durchführen lassen

Auch wenn sich das Projekt forschenden Lernens über zwei Semester streckt, muss das nicht bedeuten, dass die Studierenden über zwei Semester gemeinsam eine Gruppenarbeit durchführen. Eine Hochschule berichtet, dass sie die Gruppenarbeit nur im zweiten Semester durchführen, um die Auswirkungen interpersoneller Konflikte und äußerer Einflüsse auf den Forschungsprozess möglichst gering zu halten.

Bonusangebote

Dieser Abschnitt beschreibt Angebote, die in Verbindung mit forschendem Lernen angeregt werden können, aber meist auch für sich stehend bereits eine Bereicherung darstellen.

Ringvorlesung einbinden

Parallel zum Angebot forschenden Lernens können Sie eine an den Forschungsthemen orientierte Ringvorlesung veranstalten. So haben die Studierenden die Gelegenheit, im Prozess theoretisches Input zu erhalten und Querverbindungen zu ziehen. Sie erleben, dass Theorie und Forschungspraxis einander befruchten und erkennen den Nutzen von Vorlesungen für ihr Studium. Diese Ringvorlesung könnte auch interdisziplinär ausgelegt sein. Dadurch erhalten die Studierenden einen Einblick in unterschiedliche Formen der Forschungspraxis – und erste Anregungen dazu, wie sie selbst als Forschende vorgehen können.

College Tag als Reflexionsanlass einrichten

In einer Hochschule wird einmal im Jahr ein ganzer Tag der Reflexion des Studiums gewidmet. Die Studierenden werden dazu angeleitet ihre Erfahrungen im Studium sowie die Bedeutung und den Sinn des eigenen Studiums zu reflektieren. Eine inhaltliche Auseinandersetzung findet zudem darüber statt, was Bildung an einer Hochschule bedeutet, auch in Abgrenzung zur Ausbildung.

Konferenzwoche zu Semesterende organisieren

Nach Abschluss des Angebots zu forschendem Lernen organisieren Sie eine Konferenzwoche, zu der auch Gäste aus dem wissenschaftlich einschlägigem Umfeld eingeladen werden. Dort präsentieren die Studierenden ihre Forschungsergebnisse.

Service Learning organisieren

Angebote forschenden Lernens können auch als Service Learning ausgestaltet werden. Das bedeutet, dass die Studierenden für Praxispartner_innen forschen, also die studentische Forschung sich aktuellen Fragen und Herausforderungen der Praxis widmet. Dafür müssen Kooperationen mit Praxispartner_innen geschlossen werden. Ein Vorteil dieses Formats ist, dass Studierende häufig sehr motiviert sind und bleiben, einerseits erleben Sie, dass ihre Forschung nicht „für die Schublade“ ist, andererseits erleben sie die Relevanz von Forschung für die Praxis.

Semesterbegleitend Vorarbeiten zu schriftlichen Ausarbeitungen anregen

Als Prüfungsleistung für forschendes Lernen kann eine Hausarbeit durchgeführt werden. Insbesondere zu Studienbeginn sind die Studierenden mit Hausarbeiten noch überfordert oder schieben sie auf die Semesterferien, sodass die Hausarbeit abgekoppelt von dem Semestergeschehen verfasst wird. Stattdessen können Sie – beispielsweise durch das Einfordern eines Exposees – bereits während des Semesters eine Auseinandersetzung mit der zukünftigen Prüfungsleistung anregen und damit auch ein sukzessives Reflektieren des laufenden Prozesses durch die Studierenden.

Semesterbegleitende Portfolioprüfung anregen

Statt einer Prüfung am Ende des Semesters, können Sie die Studierenden semesterbegleitend Beiträge für ihre Prüfungsleistung sammeln lassen. Beiträge können beispielsweise Protokolle, Sitzungsleitungen oder mündliche Leistungen sein. Dadurch, dass es letztlich so viele unterschiedliche Beiträge sind, verlieren die einzelnen zunehmend an Bedeutung und die Studierenden agieren freier und natürlicher – ohne dabei den Fokus auf die Forschung zu verlieren.

Hypothetischen Forschungsantrag als Ziel setzen

Anstelle eines vollständigen Forschungszyklus, können die Studierenden auch „nur“ einen hypothetischen Forschungsantrag ausarbeiten. Dafür müssen die Studierenden sich zunächst mit dem potenziellen Forschungsgegenstand auseinandersetzen, den Forschungsstand erschließen, eine Fragestellung entwickeln und eine geeignete Methode auswählen. Somit erhalten sie bereits einen tiefen Einblick in essentielle Schritte eines Forschungsprozesses, ohne den zeitlichen Aufwand der gesamten Forschung zu tragen. Darüber hinaus werden die Studierenden mit den Modalitäten für die Beantragung von Fördermitteln vertraut gemacht und können ein Verständnis dafür entwickeln, wie Forschungsarbeit in Drittmittelprojekten organisiert und finanziert wird.

Veröffentlichung der Forschungsergebnisse anregen

Es gibt einige Publikationsformate explizit für Studierende, in denen sie ihre Forschungsergebnisse auf Konferenzen oder in Journals präsentieren können.

Beispiele:

  • Studentische Forschungskonferenz (StuFo), bisher jährlich
  • Zeitschrift „forsch!“ Studentisches Online-Journal der Uni Oldenburg

  • FideS-Team
  • Projekt FideS - Forschungsorientierung in der Studieneingangsphase
  • 2020
  • Es stehen Reakkreditierungsgespräche Ihres Studienganges an. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen haben Sie sich vorgenommen, für Wandel zu kämpfen. Sie möchten erreichen, dass forschendes Lernen fest an Ihrer Hochschule verankert wird. Leider sind Sie sich mit Ihren Kolleginnen selbst noch nicht einig, wo und wie es am sinnvollsten implementiert werden sollte. Gleich werden Sie sich nochmaRl treffen, um sich final für die eakkreditierungsgespräche vorzubereiten.

  • Fallvignette
  • Deutsch
  • CC BY SA (unsere Empfehlung: Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen)
  • Preiß, J., Bartels, M., Herrmann, A.-C., Krein, U., Lübcke, E. & Reinmann, G. (2020). Fallvignette: Für strukturelle institutionelle Lösungen! Hamburg; Kaiserslautern; Potsdam: Projekt FideS-Transfer.
  • übergreifend