Die folgende Textsequenz bzw. Fallvignette schildert eine Situation im Kontext einer Lehre, die forschendes Lernen zum Ziel hat. Die beschriebene Situation fordert Sie als Lehrende heraus und verlangt möglicherweise von Ihnen, dass Sie unmittelbar handeln. Ziel der Bearbeitung der Fallvignette ist es, dass Sie sich Gedanken darüber machen können, was Sie in einer solchen Situation tun oder wie Sie eine solche verhindern könnten. Vielleicht aber schätzen Sie die Situation auch als problemlos und eher lernförderlich ein. So oder so können sich auf diese Weise sozusagen präventiv mit möglichen Herausforderungen vertraut machen und Ihre eigenen Bewertungen und Handlungsimpulse reflektieren.
Die beschriebenen Situationen stammen aus Interviewdaten mit Koordinator_innen von Projekten zum forschenden Lernen und wurden für den genannten Zweck zugespitzt. Es wurden die geläufigsten Herausforderungen, die in Lehrangeboten zur Förderung forschenden Lernens vorkommen, ausgewählt und in Fallvignetten umgewandelt.
Vorletzte Woche vor Semesterstart. Nachdem Ihr Angebot im letzten Jahr gelauncht wurde und aufgrund der geringen Bekanntheit noch viel Werbung brauchte, sitzen Sie jetzt vor einem Berg von Anträgen für forschendes-Lernen-Projekte mit eigenen Konzeptideen, die unter Ihrem Schirm durchgeführt werden wollen. Die Qualität der Bewerbungen variiert, aber alles klingt spannend und unterstützenswert. Leider können Sie beim besten Willen nicht alle Bewerbungen annehmen, es fehlen personelle und vor allem finanzielle Ressourcen. Schweren Herzens machen Sie sich an den Auswahlprozess, wobei Sie ratlos sind, welche Kriterien über Förderung und Ausschluss entscheiden sollen.
Reflexionsfragen
- Welche Kriterien möchten Sie für die Auswahl ansetzen?
- Wer könnte Ihnen bei der Begutachtung oder Auswahl helfen?
- Welche Mindeststandards und Planungsvorgaben legen Sie bei der Bewertung an?
- Möchten Sie für zukünftige Ausschreibungen die Hürde für die Antragstellenden, einen Antrag einzureichen, eher höher oder niedriger setzen? Warum?
Tipps und Stolperfallen
Vorsicht vor Ausnutzung von Studierenden
Überprüfen Sie die Anträge sorgfältig darauf, ob es darin tatsächlich um forschendes Lernen für Studierende geht – und die Studierenden im Mittelpunkt stehen, oder ob Promovierende die Gelegenheit nutzen, eigene lästige Arbeit an Studierende weiterzugeben.
Achtung bei Einreichungen aus selten beteiligten Fachbereichen
Um Diversität zu fördern, wird häufig versucht, diesen Einreichungen den Vortritt zu lassen. Es hat sich bewährt, dennoch auf die Güte des Antrags zu achten. Was bringt ein schlechtes Projekt aus einem seltenen Studiengang?
Tipp: Online-Übersicht erstellen:
Über eine Eingabemaske kann eine Online-Übersicht der Projekte erstellt werden. Darüber können unterschiedliche Eigenschaften der Projekte einfach gegenübergestellt werden. Themenpunkte sind beispielsweise: Verantwortliche, Teilnehmendenzahlen, Fachbereiche, Forschungsfeld, Ziel, aber auch Kosten, etc. Dadurch werden auch Informationslücken deutlich.
Präventives Handeln
Präventives Handeln verhindert die beschriebene Situation bzw. macht sie weniger wahrscheinlich, denn eine Garantie für die Vermeidung solcher Konflikte gibt es nicht.
Projektskizze verfassen lassen
Sie können eine vier- bis fünfseitige Projektskizze verfassen lassen, in der die Pläne detailliert beschrieben werden. Es müssen einerseits Evaluationsvorhaben darin eingebettet sein, andererseits auch eine Stellungnahme dazu, wie Nachhaltigkeit gesichert werden kann.
Nutzen der Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Sie haben einen sehr detaillierten Einblick in die Vorhaben und können dadurch mehr Faktoren in Ihre Entscheidung einbeziehen.
Antrag über Studiendekan_innen einreichen lassen
Die Antragstellenden dürfen ihre Anträge nicht selbst einreichen, sondern müssen sie zur Weiterleitung ihren Studiendekan_innen vorlegen.
Nutzen der Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Durch diese Hürde werden bereits die schlechtesten Anträge ausgesiebt – einerseits, weil die Antragstellenden Hemmungen haben, den Studiendekan_innen schlechte Anträge vorzulegen und andererseits, weil die Studiendekan_inne schon selbst selektierend einwirken können.
Antrag über Online-Formular ermöglichen
Für eine niedrigschwellige Bewerbung kann auch ein Online-Formular zur Verfügung gestellt werden. Dies ermöglicht zudem, dass über Felder und Anwahl von Punkten bestimmte Aspekte der Projektkonzeption gesteuert werden können. So reflektieren die Antragstellenden bereits in dem Erstellungsprozess künftige Herausforderungen und Kriterien, die berücksichtigt werden sollen.
Nutzen der Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Die Anträge können einfach gegenübergestellt werden, sie sind kompakt, überall abrufbar und leichter versendbar. Zudem kann auf die Inhalte und Elemente Einfluss genommen werden.
Creditpunkte-Anerkennung vorher einfordern
Einreichende müssen bereits bei Antragseinreichung geklärt haben, in welchem Modul ihr Projekt anerkannt wird, sodass die Studierenden sicher Creditpunkte dafür erhalten.
Nutzen der Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Diese Vorgehensweise hat gleich mehrere Vorteile: Einerseits bewerben sich nur sehr Motivierte, dadurch hat es eine Selektionsfunktion. Außerdem wirkt die Creditpunkte-Anerkennung motivierend und kann die Dropout-Rate aus den Projekten senken. Zuletzt hat es organisatorische Vorteile, wenn die Bürokratie vor Projektstart geklärt ist.
Frühzeitige Voreinreichung organisieren
Bereits zwei Monate vor Antragsfrist fordern Sie von den Antragstellern, dass sie eine Beratung wahrnehmen. Dort erhalten sie Tipps zum Antragsschreiben und eine Checkliste. Danach wird eine Voreinreichung gefordert, zu der dann auch nochmal beraten wird.
Nutzen der Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Auch hier greift wieder die Selektionsfunktion. Außerdem kann in diesem Prozess bereits das Forschungsvorhaben geschärft und somit Forschungszeit in der Projektlaufzeit anders genutzt werden. Nebenbei lernen die Antragstellenden, wie Anträge geschrieben werden. Nachteil: Die Vorgehensweise ist extrem zeit- und personalaufwändig.
Wettbewerbliche Vergabe organisieren
Sie organisieren eine interdisziplinäre Kommission, die über die Güte der Anträge wettbewerblich entscheidet. Die Projekte der schlechtesten Anträge werden nicht durchgeführt. Sie können auch zuvor einen Workshop für Antragstellende organisieren, dadurch werden die Anträge besser und es stellt bereits eine erste Hürde dar, die nur durch Motivation überwunden wird.
Nutzen der Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Die Entscheidungsverantwortung liegt auf mehreren Schultern, außerdem können Angehörige der beantragenden Disziplin besser über die Güte und den realistischen Umfang der Forschungsvorhaben urteilen, als eine zentrale Person.
Projektanhörung vor Komitee durchführen, das Empfehlung für Rektorat verfasst
Sie können ein Komitee aus mehreren Expert_innen und Studierenden bilden lassen, welche zunächst über Anträge und anschließend in einer Anhörung der Projektbeantragenden die Projekte bewerten. Dieses kann eine Einschätzung der Projekte verfassen. Die finale Entscheidung über die Auswahl trifft letztlich das Rektorat anhand dieser Empfehlungen.
Nutzen der Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Das Einbeziehen unterschiedlicher Expert_innen und auch der studentischen Perspektive ermöglicht eine sehr umfassende Einschätzung des Projekts und verteilt die Verantwortung auf vielen Schultern. Die finale Entscheidung durch das Rektorat verleiht dem Projektantrag zusätzlichen Nachdruck, sodass nur die Motiviertesten sich letztlich bewerben.
Indirekte (begleitende) Maßnahmen
Die begleitenden Maßnahmen wirken nicht direkt auf die Studierenden ein, sondern eher „über Bande“, in diesem Fall Dritte Akteur_innen.
Vermittlung von Lehrenden an Studierende
Häufig ist nicht vorgesehen, dass Studierende selbst ein Projekt beantragen. Sie können organisieren, dass Studierende trotzdem die Möglichkeit erhalten, eigene Interessen zu formulieren und Forschungsprojekte vorzuschlagen. Finden sich Lehrende zur Betreuung, werden diese Projekte durchgeführt.
Nutzen der Maßnahme für die Fallvignettensituation:
Studentische Partizipation kann ein Entscheidungskriterium zur Förderung von Projekten sein.
- FideS-Team
- Projekt FideS - Forschungsorientierung in der Studieneingangsphase
- 2020
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Vorletzte Woche vor Semesterstart. Nachdem Ihr Angebot im letzten Jahr gelauncht wurde und aufgrund der geringen Bekanntheit noch viel Werbung brauchte, sitzen Sie jetzt vor einem Berg von Anträgen für forschendes-Lernen-Projekte mit eigenen Konzeptideen, die unter Ihrem Schirm durchgeführt werden wollen. Die Qualität der Bewerbungen variiert, aber alles klingt spannend und unterstützenswert. Leider können Sie beim besten Willen nicht alle Bewerbungen annehmen, es fehlen personelle und vor allem finanzielle Ressourcen. Schweren Herzens machen Sie sich an den Auswahlprozess, wobei Sie ratlos sind, welche Kriterien über Förderung und Ausschluss entscheiden sollen.
- Fallvignette
- Deutsch
- CC BY SA (unsere Empfehlung: Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen)
- Preiß, J., Bartels, M., Herrmann, A.-C., Krein, U., Lübcke, E. & Reinmann, G. (2020). Fallvignette: Die guten ins Töpfchen... Hamburg; Kaiserslautern; Potsdam: Projekt FideS-Transfer.
- übergreifend