Umfeld

Europa-Universität Viadrina

10 Master-Studierende

Durchführung: 1-mal,   9 CP und  2 SWS

 

In welchem Umfeld habe ich mein Angebot zum forschenden Lernen umgesetzt?

Unser Angebot zum forschenden Lernen wurde an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) durchgeführt. Es fand im Fach Politikwissenschaften im Bereich Internationale Beziehungen statt und beschäftigte sich mit der Frage, inwieweit sich die internationale Ordnung seit 1990 zunehmend am Unilateralismus orientiert und welche Auswirkungen diese Entwicklung auf die internationale Zusammenarbeit und die globale Sicherheit hat. Es richtete sich als Wahlmodul vor allem an Masterstudierende der Politik- und Rechtswissenschaften, aber auch interessierte Bachelorstudierende konnten teilnehmen. Das Seminar zeichnete sich durch drei Besonderheiten aus. Erstens handelte es sich um eine Co-Teaching-Veranstaltung, bei der Professor Jürgen Neyer und ich das Seminar gemeinsam leiteten. Während er für die inhaltliche Gestaltung verantwortlich war, übernahm ich die didaktische Gestaltung und Umsetzung des forschenden Lernens im Seminar. Zweitens legte das Seminar als Teil des Forschungsprojektes SKILL (Sozialwissenschaftliches KI-Lab für forschendes Lernen) einen besonderen Schwerpunkt auf den Einsatz und die Untersuchung von KI-gestützten Werkzeugen im Forschungsprozess. Und drittens war das Seminar mit nur 10 Studierenden eine eher kleine Veranstaltung, in der sich Lehrende und Studierende sehr gut kennenlernten und eng zusammenarbeiteten. 
 

Umfeld

Grund

Ein persönliches professionelles Anliegen

Ein Impuls aus meinem Umfeld

Was war der Grund dafür, dass ich mich für das forschende Lernen entschieden habe?

Es gibt zwei verschiedene Gründe, die dazu geführt haben, das forschende Lernen als didaktisches Prinzip in unsere Lehrveranstaltung zu integrieren. Einerseits kannte ich das forschende Lernen seit meiner Peer-Tutor:innen-Ausbildung am Schreibzentrum der Viadrina Universität und war schon damals sehr begeistert von diesem Lehr-Lern-Format und wollte es seitdem immer einmal in einer Lehrveranstaltung ausprobieren. Zum anderen ergab sich die Einführung des forschenden Lernens im Seminar durch die Anbindung an das Forschungsprojekt SKILL, in dem die forschende Ausrichtung als fester Bestandteil verankert war. Es war also die perfekte Mischung aus persönlichem Interesse und äußeren Rahmenbedingungen.

Umfeld

Umsetzung

1 Semester lang

In eine Veranstaltung eingebettet

Curricular verankert & optionales Angebot

Forschungsprozess: systematisch angeleitet

Feedback: Peers & Lehrende

Forschungsergebnisse: öffentlich

Wie ist mein Lehrangebot zum forschenden Lernen genau beschaffen?

Grundsätzlich fand das Seminar wöchentlich als Präsenzveranstaltung mit einer Dauer von 90 Minuten statt. Dabei wurden 90% der Termine sowohl von Prof. Dr. Jürgen Neyer als auch von mir wahrgenommen. Der Aufbau des Seminars orientierte sich stark am idealtypischen Forschungszyklus nach Huber und Reinmann (2019) und nutzte in den einzelnen Phasen KI-Werkzeuge. Der Übersichtlichkeit halber wird das Seminar hier anhand von drei Phasen beschrieben. 
 
Erarbeitung des Forschungsgegenstandes und der Forschungsfrage 
In den ersten 2-3 Sitzungen wurde das Thema des Seminars diskutiert. Dazu gab es vor allem erste politikwissenschaftliche Inputs von Prof. Neyer und die Studierenden erarbeiteten sich anhand ausgewählter Texte die Grundlagen des Seminars. Dementsprechend gab es keine grundsätzliche Themenfindung im Seminar, da diese bereits von uns vorgegeben wurde. Nachdem sich die Studierenden einen ersten Überblick über das Themenfeld des Unilateralismus verschafft hatten, vertieften sie sich zunächst in Einzelarbeit in die Thematik und erarbeiteten mögliche weiterführende Fragestellungen. In der Gruppensitzung wurden die verschiedenen Fragestellungen gesammelt und geclustert. So entstanden drei studentische Forschungsgruppen, die den Forschungsstand anhand von drei Fallbeispielen untersuchten. Folgende Fragestellung verdeutlicht die unterschiedlichen Forschungsschwerpunkte: Wie lässt sich eine generelle Entwicklung seit 1990 von einer grundsätzlich multilateralen zu einer unilateralistisch bestimmten Ordnung anhand (1) der arabisch-israelischen Annäherung, (2) der UN- und US-Militärinterventionen in Somalia und (3) Chinas Handelsbeschränkungen gegenüber Litauen aufzeigen und welche Konsequenzen hat dies für die internationale Zusammenarbeit und die globale Sicherheit? 
 
Forschende Tätigkeit  
In den folgenden Sitzungen begann die Gruppenarbeit, in der die Studierenden forschend tätig wurden. Die eigene Forschung der Studierenden konzentrierte sich dabei vor allem auf die politikwissenschaftliche Literaturrecherche und die Auswertung von Primär- und Sekundärquellen sowie deren Zusammenfassung und Analyse. Dabei haben wir die Studierenden bewusst dazu angehalten, mit verschiedenen KI-Tools (z. B. Literatur- und Visualisierungstools wie Research-Rabbit oder ChatGPT) zu arbeiten. Prof. Neyer und ich nahmen in dieser Forschungsphase eine Mentoren-Rolle ein: Er übernahm den inhaltlichen Part, indem er z. B. Feedback zur Literatur oder zu erarbeiteten Texten gab. Ich hingegen fungierte vor allem als Gruppen- und Schreibcoach und unterstützte einerseits die Kommunikation innerhalb der Gruppen und beriet andererseits im Schreibprozess. In diesem Zusammenhang diskutierten die Studierenden und ich auch häufig, inwiefern die KI-Tools hilfreich waren oder wie ein generierter Text zu bewerten sei. 
 
Präsentation und Reflexion   
Die Ergebnisse wurden während des Seminars zweimal in unterschiedlicher Form präsentiert. Zum einen präsentierten die Studierenden in der Mitte des Semesters ihren Zwischenstand und erhielten sowohl von ihren Kommilitonen als auch von uns Lehrenden Feedback. Zum anderen erarbeiteten die Studierenden während des Semesters ein Kapitel zu ihrem Forschungsthema, das zusammen mit den anderen Themen sowie einer Einleitung und einem Fazit als studentischer Artikel veröffentlicht wurde. Während Herr Neyer in diesem Zusammenhang den Studierenden inhaltliches Feedback gab und einen Großteil der Einleitung und des Fazits des Artikels verfasste, coachte ich die Studierenden im Schreibprozess und regte sie an, verschiedene KI-Tools auszuprobieren und kritisch zu evaluieren.  
Die Reflexion war eine wichtige Säule des Seminars und wurde vor allem durch verschiedene Feedbackgespräche während der Seminarsitzung kontinuierlich umgesetzt. Darüber hinaus wurden die Studierenden angehalten, Reflexionsberichte zu verfassen, in denen sie die verschiedenen Sitzungen und Aufgaben kritisch reflektierten. 

Umfeld

Spannungen

Studentische Kompetenzentwicklung und Anforderungen des Forschungsprozesses

Arbeitsaufwand und dem formal berechneten Zeitaufwand für Studierende

Arbeitsvolumen und verfügbaren Ressourcen bei Lehrenden

Studentischer Heterogenität und Gerechtigkeitsfragen

 

Welche Spannungen ergeben sich beim forschenden Lernen?

Eine anfängliche Spannung zeigte sich darin, dass die Studierenden dem didaktischen Design zunächst etwas skeptisch gegenüberstanden und auch das Co-Teaching zunächst als ungewohnt empfanden. Einerseits fanden sie es gut, ein neues Format kennenzulernen, in dem sie anders als in einer klassischen Vorlesung die Seminarinhalte mitgestalten konnten. Andererseits waren sie aber auch verunsichert und wussten nicht genau, welche Erwartungen an sie im Seminar gestellt werden und waren daher anfangs etwas zurückhaltender. Diese anfängliche Spannung konnten wir jedoch gut auflösen, indem wir zu Beginn der Veranstaltung viele inhaltliche und didaktische Informationen zum Ablauf des Seminars im Modus des forschenden Lernens gaben und die Studierenden so gut abholen konnten. In diesem Zusammenhang war es wahrscheinlich auch gut, dass es in den ersten beiden Seminarsitzungen noch viel inhaltlichen Input gab und sich die Studierenden so langsam von der klassischen Seminargestaltung hin zum forschenden Lernen orientieren konnten. 
Ein weiteres damit zusammenhängendes Spannungsfeld zeigte sich auch bei der gemeinsamen Arbeit, der Gruppenkommunikation und den kollaborativen Schreibprozessen. So sind Politikstudierende vor allem daran gewöhnt, alleine an Hausarbeiten oder Themen zu arbeiten und gelesene Texte nur innerhalb der Seminargruppe auszutauschen. In diesem Seminar wurden die Studierenden daher mit einer anderen Art des Austauschs konfrontiert, der sie sowohl begeisterte und tief in die Materie eintauchen ließ, als auch zu Konflikten oder Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Gruppen führte. Da soziale Interaktion immer zeitintensiv ist und viel Energie der Beteiligten erfordert, konnten wir dieses Spannungsfeld natürlich nicht vollständig auflösen. Durch das Co-Teaching war es mir jedoch möglich, die Studierenden in den Gruppendiskussionen oder Konflikten zu unterstützen und ihnen z. B. Methoden und Tipps an die Hand zu geben, mit denen sie ihre Meinungsverschiedenheiten diskutieren oder auch lösen konnten. 
Darüber hinaus zeigte sich ein Spannungsverhältnis unter den Studierenden bezüglich des Einsatzes von KI-Tools. Während einige Studierende bereits viel Erfahrung mit KI hatten und bestimmte Tools bereits gezielt einsetzten, waren andere überhaupt nicht oder kaum mit der neuen Technologie vertraut und es fiel ihnen erstmal schwerer sich damit auseinanderzusetzen. Diese Spannung war aber gar nicht schlecht, denn so konnten wir im Seminar unterschiedliche Meinungen zum KI-gestützten Arbeiten besprechen. Außerdem hat das Ausprobieren der verschiedenen Tools auch dazu geführt, dass die Studierenden sowohl positive als auch negative Auswirkungen von KI-Tools kennengelernt haben und dadurch verhärtete Positionen etwas aufgeweicht wurden. 
Ein weiterer Widerspruch zeigte sich sowohl bei den Studierenden als auch bei uns Lehrenden hinsichtlich des Arbeitsaufwandes und der dafür formal berechneten Zeit. So hatten wir eigentlich erwartet, dass die Arbeitsphasen und das Schreiben eines Kapitels eher zu einer Entlastung der Studierenden führen würden, die im Gegensatz zu einem herkömmlichen Seminar keine abschließende Seminararbeit schreiben mussten. Die intensive Gruppenarbeit und die Tatsache, dass das Kapitel veröffentlicht wurde, führten jedoch zu einem erheblichen Mehraufwand während des Semesters, der zwar dem formal kalkulierten Arbeitsaufwand entsprach, die Studierenden aber teilweise überraschte. Auch für uns Lehrende hatten wir eigentlich eine Arbeitserleichterung durch das Co-Teaching erwartet, aber der Mehraufwand in der Betreuung sowie Redaktion und Bearbeitung des gemeinsamen Artikels bewies das Gegenteil. Dementsprechend waren wir beide sehr froh, dass wir das Seminar gemeinsam durchführen konnten, da es für einen Lehrenden alleine wahrscheinlich eine sehr hohe Arbeitsbelastung gewesen wäre. 

Umfeld

Wirkung

Entwicklung und Ausleben von forschender Neugier

Anknüpfung an bestehende Forschung

Erwerb von methodischen Kenntnissen

Erkennen von Zusammenhängen zwischen Studium und Beruf

Welchen Einfluss entfaltet mein Angebot zum forschenden Lernen?

Der größte Effekt des Seminars war, dass sowohl die Studierenden als auch wir Lehrenden sehr viel Spaß am gemeinsamen Diskutieren und Forschen hatten und die Themen des Seminars viel tiefer behandelt wurden, als es in einem klassischen Seminar der Fall gewesen wäre. Diese tiefe und sehr lebendige Auseinandersetzung zeigte sich einerseits vor allem in den erarbeiteten Kapiteln. Drei von zwei erarbeiteten Kapiteln waren so gut, dass wir uns entschlossen haben, diese als gemeinsame studentische Publikation zu veröffentlichen. (Ein Kapitel haben wir nicht leider veröffentlicht, da es dem Anspruch und der gewünschten Qualität leider am Ende des Semesters nicht genügte, was u.a. auch daran lag, dass sich ein Teil der Gruppe während des Schreibprozesses verabschiedete.) Zum anderen haben sich viele Studierende persönlich und per Mail bei mir für die tolle Veranstaltung bedankt, was ich aus anderen Seminaren so nicht kenne. Auch Professor Neyer war von diesem didaktischen Prinzip sehr begeistert und sagte mir sogar, dass er ab sofort nur noch forschendes Lernen in seinen Seminaren durchführen möchte. 
Ein weiterer Effekt kann darin gesehen werden, dass die Studierenden besser verstehen, wie KI-Tools im forschenden Lernen eingesetzt werden können. Dies geht vor allem aus unseren gemeinsamen Diskussionen und den Reflexionsschreiben hervor. So haben ehemalige KI-Verweigerer:innen gelernt, dass der punktuelle Einsatz von KI-Tools sinnvoll sein kann und KI-Enthusiast:innen haben wiederum festgestellt, dass KI kein Allheilmittel ist und KI-generierte Texte oder andere Produkte immer kritisch hinterfragt und weiterbearbeitet werden müssen. Auch ich als Lehrender habe in diesem Zusammenhang gemerkt, wie wichtig es ist, genau zu kommunizieren, wie KI-Tools eingesetzt werden sollen, da sonst auch nicht beabsichtigte Effekte auftreten können. So hatte eine studentische Forschungsgruppe zu Beginn des Seminars ihren ersten Reflexionsbericht nur mit ChatGPT erstellt und verstand zunächst nicht, warum dies ein Problem sein sollte. Ich war zunächst etwas erschrocken über diesen unkritischen Pragmatismus, stellte dann aber fest, welch gute Diskussionsgrundlage dies darstellte. 
 

 

Die im Rahmen dieses Seminars entstandene studentische Publikation kann hier eingesehen werden, während der Literaturhinweis von Huber und Reinmann hier zu finden ist. 

 https://opus4.kobv.de/opus4-euv/frontdoor/index/index/docId/1356 

Flaschenpost
  • Julius Voigt, M.A.
  • Europa-Universität Viadrina
  • 2024
  • Dieses Angebot zum forschenden Lernen findet im Bereich der Internationalen Beziehungen an der Europa-Universität Viadrina statt. Die Studierenden erforschen den Unilateralismus anhand von Fallstudien und erproben in diesem Zusammenhang auch verschiedene KI-Tools

  • Fallbeispiel oder Praxisbericht (z.B. Projektbeschreibung)
  • Text/Textdokument
  • Deutsch
  • CC BY SA (unsere Empfehlung: Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen)
  • Voigt, Julius (2024). Forschendes Lernen in den Politikwissenschaften: From Multi- to Unilateralism. Insel der Forschung: Beispiele & Good Practices.
  • Politikwissenschaften