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Fach: Sportwissenschaft: „Bewegungs- und Sportgerontologie“
Besonderheiten: Wissenschaftliche Literaturübersichten, Video-Präsentation
Umfeld
Deutsche Sporthochschule Köln
Bewegungs- und Sportgerontologie
Master-Studierende
Durchführung: mehr als drei Mal
7 CP & 4 SWS
Anzahl der Studierenden: Zwischen 12 und 30
In welchem Umfeld habe ich mein Angebot zum forschenden Lernen umgesetzt?
Mein Angebot zum forschenden Lernen in der Bewegungs- und Sportgerontologie wird an der Sporthochschule Köln durchgeführt. Es ist Teil des Masterstudiengangs und für meine Studierenden verpflichtend. Die Teilnehmer:innenzahl liegt zwischen 12 und 30 Personen, abhängig von der Anzahl der eingeschriebenen Studierenden pro Kohorte. In diesem Modul möchte ich die Lernenden an die wissenschaftliche Literaturanalyse heranführen und ihnen zeigen, wie diese Art der theoretischen Forschung aussehen kann. Im Seminar forschen die Lernenden in Zweier- oder Dreierteams und wählen ihr Thema für die Literaturanalyse selbst aus. Es besteht auch die Möglichkeit, dass andere Lehrende mit Themenvorschlägen zu mir kommen und wir diese den Lernenden vorstellen. Dieses Vorgehen ermöglicht es anderen Lehrenden, eine erste Literaturanalyse für ihre Forschung oder Lehre zu erhalten und motiviert die Lernenden, da sie so nicht nur für das Seminar arbeiten, sondern ihre Arbeit auch für andere Kontexte genutzt wird. Ob sich die Lernenden für ein solches vorgeschlagenes Thema entscheiden, ist ihnen jedoch freigestellt und hängt oft auch von ihrem Interessengebiet ab. Manche Lernenden nutzen das Seminar auch als vorbereitende Literaturrecherche für ihre anschließende Masterarbeit.
Umfeld
Grund
Persönliches professionelles Anliegen
Impuls aus meinem Umfeld
Was war der Grund dafür, dass ich mich für das forschende Lernen entschieden habe?
Anlass für die Entwicklung dieses Lehr-Lernformats war die Umstellung des Masterstudiengangs vor einigen Jahren von einem Master of Arts auf einen Master of Science, um eine stärkere wissenschaftliche und forschungsorientierte Ausrichtung zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang sollten literaturbasierte Übersichtsarbeiten als wichtiger Lehrinhalt in das Curriculum integriert werden. Ich übernahm die Konzeption dieses Moduls und beschloss, diesen Themenkomplex mit meiner Begeisterung und meinem Wissen über forschendes Lernen aus anderen Seminarkontexten zu verbinden und den Lernenden in diesem Lehrformat zu zeigen, wie theoretisches und literaturbasiertes Forschen aussehen kann.
Umfeld
Umsetzung
Ein Semester lang
In ein Modul eingebettet
Curricular verankert & verpflichtend
Forschungsprozess: von Lehrenden bei Bedarf unterstützt
Feedback: Peers & Lehrende
Forschungsergebnisse: intern
Wie ist mein Lehrangebot zum forschenden Lernen genau beschaffen?
Die Umsetzung der literaturbasierten Forschung erfolgt in mehreren Schritten und orientiert sich grob an einem idealtypischen Forschungszyklus, wobei natürlich keine empirische Datenerhebung durchgeführt wird.
In einem ersten Schritt führe ich die Lernenden in das Thema ein und gebe ihnen Informationen über wissenschaftliche Literaturübersichten. Ich zeige verschiedene Beispiele und unterschiedliche Typen auf, gehe auf den Sinn und Zweck dieser Art von Forschung ein und erkläre die dahinterstehenden Methoden und Vorgehensweisen. Anschließend vertiefen die Studierenden die verschiedenen Aspekte, indem sie z. B. Artikel lesen, in denen systematische Literaturreviews durchgeführt wurden, und sich mögliche Fragen und Probleme notieren. Da ich das Seminar schon einige Male durchgeführt habe, habe ich auch verschiedene Formate ausprobiert: Es gab sowohl ein Inverted-Classroom-Modell, bei dem sich die Studierenden die Inputs über Videos angeeignet haben und wir uns nur zur anschließenden Diskussion getroffen haben, als auch reine Präsenztreffen. Ich kann allerdings nicht sagen, welche Art der Umsetzung hier die bessere ist, da dies stark von der Gruppe abhängt. Grundsätzlich scheinen aber beide Formate gut zu funktionieren.
Diesem ersten Schritt folgt die Themenfindung. In dieser Phase finden sich die Lernenden in Zweier- oder Dreiergruppen zusammen und überlegen gemeinsam, zu welchem Thema sie eine literaturbasierte Übersicht erstellen möchten. Dabei sind die Lernenden sehr frei und können sich z. B. von ihren Interessen leiten lassen oder Themen erforschen, die sie in ihrer Masterarbeit untersuchen möchten. Wichtig ist nur, dass es sich thematisch um Bewegungs- und Sportgerontologie handelt, noch keine bereits publizierte Literaturübersichtsarbeit vorhanden ist und eine nachvollziehbare Forschungslücke und -frage bearbeitet wird. Es kommt auch vor, dass andere Lehrende oder ich selbst Themen vorschlagen, zu denen wir uns einen ersten Literaturüberblick für unsere Forschung oder Lehre wünschen. Während der Recherche überprüfen die Studierenden in ausgewählten Datenbanken, ob ihr Thema ergiebig ist und ob es nicht zu viel oder zu wenig Literatur dazu gibt. Außerdem stellt jede Gruppe ihre Überlegungen und ihr Thema im Plenum vor und erhält wertvolles Feedback von den Kommiliton:innen und mir. Auf Basis der ersten Recherchen und des kollegialen Feedbacks verfeinern die studentischen Forschungsgruppen dann ihr Thema und entwickeln eine konkrete Fragestellung. Im Seminar wurden beispielsweise folgende Forschungsfragen untersucht: 1) Welche Auswirkungen von bewegungsbasierten Mind-Body-Interventionen auf die körperliche Fitness zeigen sich bei gesunden älteren Menschen; 2) Welche Auswirkungen von Mind-Body-Interventionen mit meditativen Bewegungen zeigen sich auf die Lebensqualität, depressive Symptome, die Sturzangst und die Schlafqualität bei älteren Erwachsenen; 3) Welche Auswirkungen haben Bewegungstrainings auf die Handgriffstärke älterer Erwachsener; 4) Welche Laufband-Trainingsprotokolle zur Sturzprävention sind für ältere Erwachsene vorhanden, welche theoretischen Konzepte liegen diesen zugrunde und welche Trainingsparameter wurden einbezogen? 5) Wie verändern sich die Eigenschaften der motorischen Einheiten bei gesunden und erkrankten älteren Erwachsenen ab 60 Jahren? Im nächsten Schritt geht es um die Umsetzung des Forschungsvorhabens, für das die Lernenden zunächst einen geeigneten Suchstrang und -syntax entwickeln, indem sie die Ein- und Ausschlusskriterien und die zu durchsuchenden Datenbanken festlegen. Diese Phase zeichnet sich einerseits durch die eigenverantwortliche und selbstständige Arbeit der Forschungsgruppen aus, andererseits finden regelmäßige Termine im Plenum oder Einzelcoaching statt, in denen der konkrete Stand oder aktuelle Probleme besprochen werden. Nachdem die Lernenden ihren Forschungsstrang konkretisiert haben, halten sie ihre Überlegungen und Ergebnisse in einem kurzen Video fest, das vom gesamten Kurs gesehen und kommentiert wird. Dieses Feedback gibt den Lernenden die Möglichkeit, Anpassungen vorzunehmen und offene Fragen zu klären. Anschließend entwickeln die studentischen Forschungsgruppen ein Ablaufdiagramm, indem sie die verschiedenen Studien auswerten, die sie mit Hilfe ihres Suchstrangs gefunden haben. Dabei bewerten sie die gefundenen Beiträge zunächst anhand des Titels, dann anhand des Abstracts und lesen schließlich die verbleibenden Volltexte. Den sich daraus ergebenden Verlauf ihrer Analyse halten sie grafisch (in einem Flowchart) fest. Auch hier präsentieren die Lernenden ihre Ergebnisse in einem kleinen Video und zeigen so ihren aktuellen Stand. Dieser kann sehr unterschiedlich sein, während einige schon fast fertig mit der Erstellung ihres Flowcharts sind, befinden sich andere noch mitten im Auswertungsprozess. Als Lehrperson finde ich die unterschiedlichen Stände aber nicht schlimm, sondern denke, dass sie die Vielfältigkeit dieses Forschungsansatzes unterstreichen. Wie auch bei den letzten Videos dienen diese als Diskussions- und Feedbackgrundlage und helfen den Lernenden, offene Fragen zu klären und Probleme anzugehen. Darüber hinaus stehe ich den einzelnen Gruppen natürlich weiterhin zur Verfügung.
Anschließend erfolgte die Datenauswertung und -analyse der ausgewählten Volltexte. Die Ergebnisse werden sowohl tabellarisch als auch schriftlich zusammengefasst und am Ende der Lehrveranstaltung als Hausarbeit eingereicht. Die Hausarbeit stellt somit das Endprodukt der Forschung dar und bildet die Grundlage für die Benotung. Bei besonders gelungenen Arbeiten bespreche ich mit den Lernenden und ggf. anderen Lehrenden, ob die Arbeiten der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zugänglich gemacht und in inhaltlich passenden Zeitschriften veröffentlicht werden sollen. Dabei kann es sich sowohl um Zeitschriften für studentische Forschung als auch um andere Zeitschriften handeln, wobei in der Regel ein erfahrener Forscher oder eine erfahrene Forscherin die Lernenden bei der Anpassung ihrer Texte unterstützt. Durch diese Fortführung der als Seminarhausarbeit gestarteten Bearbeitungen verschiedener Themen, konnten inzwischen die folgenden Reviews erfolgreich publiziert werden:
Ebner, S. A., Meikis, L., Morat, M., Held, S., Morat, T., & Donath, L. (2021). Effects of movement-based mind-body interventions on physical fitness in healthy older adults: A meta-analytical review. Gerontology, 67(2), 125-143.https://doi.org/10.1159/000512675
Kim, K., Vinent, M., Deller, L., & Zijlstra, W. (2023). A scoping review of voluntary gait adaptability tasks requiring cognitive demands in older adults. Physical Activity and Nutrition, 27(1), 30-40.
Labott, B. K., Bucht, H., Morat, M., Morat, T., & Donath, L. (2019). Effects of exercise training on handgrip strength in older adults: a meta-analytical review. Gerontology, 65(6), 686-698. https://www.karger.com/Article/Pdf/501203
Weber, M., Schnorr, T., Morat, M., Morat, T., & Donath, L. (2020). Effects of Mind -Body Interventions Involving Meditative Movements on Quality of Life, Depressive Symptoms, Fear of Falling and Sleep Quality in Older Adults: A Systematic Review with Meta-Analysis. International Journal of Environmental Research and Public Health, 17(18), 1-22. Artikel 6556. https://doi.org/10.3390/ijerph17186556
Wiedenmann, T., Held, S., Rappelt, L., Grauduszus, M., Spickermann, S., & Donath, L. (2023). Exercise based reduction of falls in community-dwelling older adults: a network meta-analysis. European Review of Aging and Physical Activity, 20, 1-10. Artikel 1. https://doi.org/10.1186/s11556-023-00311-w
Umfeld
Spannungen
Veranstaltungsplanung und Anpassung infolge der Dynamik beim forschenden Lernen
Veränderter Lehrenden-Rolle und der vorhandenen Lehrtradition
Welche Spannungen ergeben sich beim forschenden Lernen?
Ein grundsätzliches Spannungsfeld zeigt sich im Forschungsansatz selbst. So sind unsere Lernenden durch ihr Studium eher an empirische Forschung gewöhnt und empfinden eine rein literaturbasierte Forschung zunächst als ungewohnt und wenig attraktiv. Einerseits scheinen die sehr klaren Vorgaben bei einigen Lernenden ein Störgefühl auszulösen, während andere mit dem vielen Lesen etwas überfordert sind und zunächst keinen Sinn in dieser Art des wissenschaftlichen Arbeitens sehen. Sobald sie aber die Methode verstanden haben und sich auf das Vorgehen einlassen, erkennen viele den Reiz dieses Forschungsansatzes und sind überrascht, welche neuen Erkenntnisse sie aus dieser theoretischen Forschung gewinnen können. Für mich als Lehrender bedeutet dieses Spannungsfeld, dass ich vor allem am Anfang darauf achten muss, die Lernenden gut abzuholen und ihnen den Sinn und Zweck von Literaturreviews zu erklären, aber auch Geduld mit den Lernenden zu haben und zu warten, bis sie sich auf diese ungewohnte Art des Forschens eingelassen haben.
Eine weitere Spannung erlebe ich in meiner Rolle als Lehrender, da ich mich hier vor allem als Mentor verstehe, der den Lernenden nicht zu viele Vorgaben machen möchte, sondern sie ihre eigenen Erfahrungen machen lassen will. Das funktioniert auch immer gut, wenn die Lernenden auf einem richtigen Weg sind und keine bzw. kleine Fehler machen, aber wenn ich merke, dass eine Forschungsgruppe sich verirrt und in eine falsche Richtung läuft, stellt sich immer die Frage, wie ich damit umgehe. Ein Teil von mir möchte dann eingreifen und den Lernenden so schnell wie möglich helfen, wieder auf den richtigen Kurs zu kommen, während ein anderer Teil es eigentlich gut findet, wenn die Lernenden von sich aus auf Probleme aufmerksam werden und es auch Raum für Scheitern und tiefe Reflexion gibt. Dann bin ich selbst in der Zwickmühle und muss von Fall zu Fall entscheiden, wie ich mit der Situation umgehe, was manchmal sehr anstrengend sein kann. Grundsätzlich finde ich es aber wichtig, dass Lehrende beim forschenden Lernen eine andere Rolle einnehmen und versuchen, die Selbstständigkeit der Lernenden zu fördern, auch wenn das bei mir manchmal zu inneren Diskussionen und Störgefühlen führt. Diese gilt es dann auszuhalten.
Umfeld
Wirkung
Entwicklung und Ausleben von forschender Neugier
Umgang mit Fehlern und Misserfolgen
Erwerb von methodischen Kenntnissen
Welchen Einfluss entfaltet mein Angebot zum forschenden Lernen?
Die größte Wirkung des Seminars sehe ich darin, dass die Studierenden nach diesem Modul sicherer und systematischer mit Literatur umgehen und sich genauer überlegen, wie sie den Forschungsschritt der Literaturanalyse oder die Themenfindung in anderen Arbeiten (z. B. der Masterarbeit) systematischer und konkreter gestalten können. Einige Lernende haben mir auch zurückgemeldet, wie sehr sich ihr Blickwinkel auf theoretisches und literaturbasiertes Arbeiten durch dieses Seminar verändert hat und dass sie nun einen größeren Wert in dieser Art von Forschung sehen. Darüber hinaus suchen viele Lernende nun bewusst nach Literaturübersichten, wenn sie sich mit einem neuen Thema beschäftigen.
Neben diesem Effekt freut es mich natürlich auch, dass einige der studentischen Arbeiten veröffentlicht werden oder zumindest andere Lehrende des Instituts von den Ergebnissen profitieren. Auf diese Weise wird die Forschung der Lernenden auch für Dritte bedeutsam und relevant. Aber auch für Lernende, die sich entscheiden, in der Wissenschaft zu bleiben, ist dieses Seminar ein Grundstein für wissenschaftliches Arbeiten. So berichtete mir eine ehemalige Studentin, die jetzt an einer Universität arbeitet, dass sie vor kurzem ein Systematic Review machen musste und sich dabei genau an der Vorgehensweise des Seminars orientiert hat.
Zusätzlich sehe ich auch für mich den Effekt, durch die verschiedenen Arbeiten Einblicke in spannende Themen zu bekommen und dadurch neue Impulse für meine Lehre und Forschung zu erhalten.
Weitere Informationen zu diesem Lehrkonzept können hier eingesehen werden.
- Dr. Tobias Morat
- Deutsche Sporthochschule Köln
- 2024
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Das hier vorgestellte Seminar findet an der deutschen Sporthochschule Köln statt. Es zeigt auf, wie forschendes Lernen im Rahmen wissenschaftlicher Literaturanalysen umgesetzt werden kann und wie Lernende so an theoretische und literaturbasierte Analysen herangeführt werden können.
- Fallbeispiel oder Praxisbericht (z.B. Projektbeschreibung)
- Flaschenpost
- Deutsch
- CC BY SA (unsere Empfehlung: Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen)
- Morat, Tobias (2024). Erforschung der Sportwissenschaften mit Hilfe von Literaturübersichten. Insel der Forschung: Beispiele & Good Practices.
- > 3. Master Semester
- Sportwissenschaft: „Bewegungs- und Sportgerontologie“