In welchem Umfeld habe ich mein Angebot zum forschenden Lernen umgesetzt?

Umfeld

Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin

Wirtschaftsinformatik

Studienbeginner:innen

Durchführung: Einmal

5 CP & 4 SWS

Anzahl der Studierenden: circa 40

In welchem Umfeld habe ich mein Angebot zum forschenden Lernen umgesetzt?

In meiner Lehrveranstaltung Sozialwissenschaftliche Aspekte der Informations- und Wissensgesellschaft habe ich das didaktische Prinzip des forschenden Lernens umgesetzt. Ziel der Veranstaltung ist es, Studierenden der Wirtschaftsinformatik sozialwissenschaftliche Aspekte der Informations- und Wissensgesellschaft zu vermitteln. Das Seminar greift damit einen für Studierende der Wirtschaftsinformatik wichtigen Themenschwerpunkt auf, der allerdings bisher im Studium noch zu wenig berücksichtigt wird. Diese Lehrveranstaltung eröffnet wissenschaftsreflektierte Perspektiven auf das Feld der Wirtschaftsinformatik. Die rund 40 Studierenden zeichnen sich durch eine große Diversität aus: Einige bringen bereits eine Ausbildung mit, andere haben bereits Erfahrungen an Universitäten gesammelt und sich dann für einen Wechsel an eine Hochschule für angewandte Wissenschaften entschieden, weil sie sich mehr Praxisbezug wünschen, wieder andere haben gerade ihr Abitur gemacht und bringen noch keine Berufs- oder Studienerfahrung mit. Eine weitere Besonderheit dieses Seminars ist, dass ich es gemeinsam mit einer Kollegin leite und wir uns die inhaltlichen Inputs und die Betreuung der Studierenden teilen. Das ist gerade angesichts der hohen Teilnehmer:innenzahl eine große Entlastung.

Umfeld

Grund

Persönliches professionelles Anliegen

Was war der Grund dafür, dass ich mich für das forschende Lernen entschieden habe?

Auf das didaktische Prinzip des forschenden Lernens bin ich durch meine eigene Forschungstätigkeit gestoßen. Ich war auf der Suche nach einer Möglichkeit, mit Studierenden partizipativ zu forschen, sie also in die Rolle von Mitforschenden zu versetzen. Das Konzept des forschenden Lernens erschien mir durch diesen Rollen- und Perspektivenwechsel der Studierenden sehr anschlussfähig. So beschäftigte ich mich weiter mit dem forschenden Lernen und beschloss, es in einer meiner Lehrveranstaltungen umzusetzen und auszuprobieren.

Forschendes Lernen erwies sich als besonders geeignet für die hier vorgestellte Lehrveranstaltung, da ich den Studierenden schon zu Beginn ihres Studiums vermitteln wollte, was es heißt, forschend tätig zu sein und einen Forschungsprozess zu erleben. Dabei habe ich besonderen Wert auf die Entwicklung einer eigenen Fragestellung gelegt, damit die Studierenden stärker von ihrem eigenen Erkenntnisinteresse geleitet werden. Darüber hinaus halte ich die Reflexionsphasen des forschenden Lernens für einen wichtigen Aspekt in Seminarkontexten, weshalb dieser in der Seminarkonzeption besonders berücksichtigt wurde.

Umfeld

Umsetzung

Ein Semester lang

In ein Modul eingebettet

Curricular verankert & verpflichtend  

Forschungsprozess: von Lehrenden angeleitet

Feedback: Peers & Lehrende

Forschungsergebnisse: intern

Wie ist mein Lehrangebot zum forschenden Lernen genau beschaffen?

Die Durchführung des Seminars lässt sich in drei Phasen einteilen, die jedoch teilweise ineinander übergehen.

Erkundung des Forschungsfeldes: In der ersten Phase stand die Erkundung des Forschungsfeldes im Mittelpunkt. In diesen fünf Wochen gaben wir Lehrende inhaltliche Inputs und führten in die Thematik ein. Die Studierenden erarbeiteten in verschiedenen Gruppen Grundlagentexte und verschafften sich einen Überblick über zentrale Begriffe und Theorien zur Informations- und Wissensgesellschaft. In diesem Zusammenhang wurden auch Lesestrategien und -techniken vorgestellt und erprobt. Außerdem schlossen sich die Studierenden in dieser Phase selbstorganisiert zu Gruppen zusammen, wobei die Gruppengröße zwischen 3 und 6 Personen variierte. In den Gruppen entwickelten die Studierenden erste mögliche Forschungsfragen, die anschließend sowohl im Plenum als auch in individuellen Gesprächen mit uns Lehrenden diskutiert, angepasst und präzisiert wurden. So entstanden z. B. folgende Fragestellungen: „Wie kann die frühkindliche Bildung im Bereich der Informatik gefördert werden, am Beispiel von Scratch Jr.?“, „Welche Herausforderungen und Auswirkungen hat die Einführung der Informatik als Pflichtfach in deutschen Oberschulen auf Lernende und Lehrende?“ oder „Inwiefern beeinflussen strukturelle Barrieren die Beteiligung von Frauen in der Informatik?“. Am Ende dieser Phase stellte ich den Studierenden auch die idealtypischen Forschungsschritte des forschenden Lernens vor, um ihnen eine Orientierung für den weiteren Verlauf des Seminars zu geben.

Forschungswerkstatt und Forschungsgruppen: In den folgenden sechs Wochen untersuchten die Studierenden ihre ausgewählte Forschungsfrage. Neben der selbständigen Gruppenarbeit trafen wir uns weiterhin im Plenum, stellten verschiedene Methoden vor und diskutierten gemeinsam die Zwischenstände der unterschiedlichen Forschungsgruppen. Darüber hinaus boten wir Sprechstunden für die einzelnen Forschungsgruppen an, in denen wir ihre Forschungsfrage und deren Umsetzung diskutierten und hinsichtlich der gewählten Methode berieten. Grundsätzlich waren die Studierenden methodisch sehr frei und konnten z. B. literaturbasiert forschen oder eine qualitative oder quantitative Studie durchführen. Für uns als Lehrende ging es in diesem Zusammenhang weniger darum, dass die Studierenden die Forschungstätigkeit und die damit verbundenen Methoden perfekt ausführen, sondern darum, sie für das Forschen an sich zu begeistern und ihnen eine erste Vorstellung von sozialwissenschaftlicher Forschung zu vermitteln. Dabei war es sehr hilfreich, dass ich das Seminar mit einer Kollegin teilte, so dass wir uns die Einarbeitung in verschiedene Methoden und Auswertungsverfahren oder die Sichtung von Lehrmaterialien teilen konnten und uns nicht beide in die teilweise sehr unterschiedlichen Forschungsansätze und -projekte der Studierenden einarbeiten mussten.

Präsentation und Dokumentation der Forschungsergebnisse: Die dritte Phase umfasste die letzten vier Wochen der Vorlesungszeit. In dieser Zeit präsentierten die Studierenden ihre Zwischenstände der Forschung und konnten im Plenum mögliche Probleme oder noch zu klärende Aspekte diskutieren. Die Kommiliton:innen und wir Lehrenden gaben Feedback zu den unterschiedlichen Forschungsarbeiten und wiesen auf Aspekte hin, die ggf. in der schriftlichen Ausarbeitung noch thematisiert werden sollten. Die Präsentation der studentischen Forschungsgruppen wurde von uns formal als mündliche Prüfungsleistung gewertet. Anschließend verfassten die Studierenden in ihren Gruppen eine Hausarbeit, in der sie ihren Forschungsprozess darstellten. Je nach Gruppengröße variierte die geforderte Länge der Hausarbeit, die die schriftliche Prüfungsleistung darstellt. Hinsichtlich der schriftlichen und mündlichen Leistungsnachweise konnten die Studierenden außerdem wählen, ob sie als Gruppe oder als Einzelperson bewertet werden möchten.

Momente der Reflexion: Im gesamten Forschungsprozess haben wir reflexive Elemente eingebaut. Diese entstehen zum einen in den Diskussionen im Plenum und werden zum anderen durch ein Lernjournal ermöglicht, in dem die Studierenden nach jeder Sitzung auf freiwilliger Basis Reflexionsfragen zu folgenden Fragen beantworten können:

  • Woran habe ich heute gearbeitet/ was habe ich gelesen, recherchiert… ?
  • Was war dabei für mich neu/ überraschend/ aufschlussreich… ?
  • Was ist unklar geblieben/ worüber sollte ich noch mehr herausfinden?
  • Welche konkreten Arbeitsaufträge ergeben sich daraus für mich/ was ist mein nächster Schritt?

Die Lernjournaleinträge wurden über die Lernmanagement-Plattform Moodle hochgeladen. Die Einträge konnten nur wir als Lehrende einsehen, blieben für die Studierenden untereinander nicht zugänglich. Das Hochladen zielte darauf ab, eine Routine einzuüben und nicht, um die Einträge in die Bewertung einfließen zu lassen. Für uns als Lehrende war es jedoch hilfreich zu lesen, welche Themen noch unklar sind, um sie für die nächsten LV-Termine erneut aufzugreifen.

Spannungen

Individuellem und sozialem Lernen

Studentischer Kompetenzentwicklung und Anforderungen des Forschungsprozesses

Arbeitsaufwand und dem formal berechneten Zeitaufwand für Studierende

Arbeitsvolumen und verfügbaren Ressourcen bei Lehrenden

Welche Spannungen ergeben sich beim forschenden Lernen?

Die größte Spannung im Seminar entstand dadurch, dass ich einerseits die Studierenden ermutigen wollte, ihren eigenen Fragen nachzugehen und einen Raum zu schaffen, in dem auch Fehler und Scheitern in Ordnung sind, andererseits aber die Seminarleistungen bewerten musste. Meine Kollegin und ich haben versucht, die Situation durch offene Kommunikation zu entschärfen und den Studierenden zu erklären, dass forschendes Lernen und benotete Prüfungsleistungen an sich etwas widersprüchlich sind, die Prüfungsordnung uns aber keine andere Wahl lässt, als eine benotete Prüfung durchzuführen. Diese Thematisierung war auf jeden Fall hilfreich und führte dazu, dass die Studierenden mutiger wurden und wirklich begannen, ihren Interessen zu folgen. Dennoch blieb bei einigen Studierenden eine gewisse Verunsicherung.

Eine weitere Herausforderung war die Arbeitsbelastung für die Studierenden und Lehrenden. So überforderte gerade zu Beginn der Veranstaltung die freie Wahl des eigenen Forschungsfeldes die Lernenden. Hinzu kam, dass Studierende der Wirtschaftsinformatik es eigentlich nicht gewohnt sind, sozialwissenschaftliche Texte zu lesen und sich darauf einzulassen, dass es nicht die eine richtige Lösung oder Antwort gibt. Diese Umstellung und das Einlassen auf eine sozialwissenschaftliche Denkweise erforderten gerade am Anfang viel Energie der Studierenden und viel Unterstützung seitens der Lehrenden. Hinzu kam der inhaltliche Workload, der dazu führte, dass sich die Studierenden auf verschiedenen Ebenen (inhaltlich, theoretisch, methodisch) mit ihrer Forschungsfrage auseinandersetzen mussten sowie die herausfordernden Aspekte, die sich aus der Gruppenarbeit ergaben. Vor allem die Arbeit in größeren Gruppen und die zum Teil sehr unterschiedlichen Lebenssituationen der Studierenden führten zu viel Koordinationsaufwand und Meinungsverschiedenheiten. Als Lehrende haben wir versucht, den Arbeitsaufwand für die Studierenden durch ausgewählte Materialien und individuelle Betreuung zu minimieren. Dies ist an vielen Stellen gelungen, hat aber auch zu einer Erhöhung des Workloads auf unserer Seite geführt. In diesem Zusammenhang war es sehr gut, dass wir das Seminar zu zweit betreuten und so die Aufgaben gut aufteilen und gemeinsame Probleme besprechen konnten

Umfeld

Wirkung

Entwicklung und Ausleben von forschender Neugier

Umgang mit Fehlern und Misserfolgen

Auseinandersetzung mit Fachliteratur

Erwerb von methodischen Kenntnissen

Erkennen von Zusammenhängen zwischen Studieninhalten

Welchen Einfluss entfaltet mein Angebot zum forschenden Lernen?

Ein erwünschter Effekt war das Interesse am Ausprobieren selbst zu forschen, aber auch ein schrittweises Annähern an ein kritisch-reflektiertes Denken. Sichtbar wurde dies an einer steigenden Beteiligung an Diskussionsrunden, ein sich-trauen-zu sprechen, aber auch an den tiefergehenden Notizen in Lernjournaleinträgen. Der Einbezug von Lesetechniken, Schreibimpulsen und Problematisierungsschritten ermöglichte es den Studierenden für sich oder im Gruppenaustausch zu reflektieren und zu diskutieren. Besonders das Lernjournal wurde von den Studierenden als freiwillige Reflexionsmöglichkeit genutzt. Darüber hinaus bedankten sich viele Studierende nochmals bei uns Lehrenden für die Gestaltung des Seminars und den offenen Austausch, eine Reaktion, die ich aus anderen Seminaren nicht wirklich kenne. In den Feedbackgesprächen kam auch die Rückmeldung von den Studierenden, dass sie nun eine bessere Vorstellung davon haben, was es heißt, sozialwissenschaftlich zu forschen und eigene Interessen innerhalb eines Forschungsfeldes zu verfolgen.

Auch für mich als Lehrende konnte ich positive Effekte feststellen. So hat mich die Begeisterung und das Engagement der Studierenden motiviert und mir gezeigt, dass sich der Mehraufwand des forschenden Lernens definitiv lohnt. Gleichzeitig wurde mir aber auch die Komplexität dieses didaktischen Prinzips bewusst. So sehe ich an einigen Stellen im Forschungsprozess noch Anpassungspotenziale, die ich im nächsten Semester verbessern möchte.

Flaschenpost
  • Judith Schütze, M.A.
  • Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin 
  • 2024
  • Das hier vorgestellte Angebot zum forschenden Lernen findet im Bachelor Wirtschaftsinformatik statt und thematisiert sozialwissenschaftliche Aspekte der Informations- und Wissensgesellschaft. Dabei durchlaufen studentische Forschungsgruppen die verschiedenen Phasen des forschenden Lernens und reflektieren den Prozess an verschiedenen Stellen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf dem Finden einer eigenen Fragestellung.

  • Fallbeispiel oder Praxisbericht (z.B. Projektbeschreibung)
  • Flaschenpost
  • Text/Textdokument
  • Deutsch
  • CC BY SA (unsere Empfehlung: Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen)
  • Schütze, Judith (2024). Sozialwissenschaftliche Aspekte der Informations- und Wissensgesellschaft erforschen. Insel der Forschung:: Beispiele & Good Practices.
  • Studieneingangsphase Bachelor (1.-2. Semester)
  • Wirtschaftsinformatik