Umfeld

Universität Bremen, Geographie

 50 Studienanfänger:innen (verteilt auf 2 Kurse)

Durchführung: mehr als 3-mal, 9 CP & 4 SWS

In welchem Umfeld habe ich mein Angebot zum forschenden Lernen umgesetzt?

Das hier vorgestellte Angebot zum forschenden Lernen ist das Modul Einführungsprojekt Geographie, das an der Universität Bremen am Institut für Geographie durchgeführt wird. Das Angebot richtet sich an Bachelorstudierende des Vollfaches Geographie und ist als Pflichtmodul im ersten Semester (9 CP, 4 SWS) wichtiger Bestandteil der Studieneingangsphase. Die Idee für diese Veranstaltung entstand im Jahr 2015 im Zuge der Reform der geographischen Bachelorstudiengänge, in deren Rahmen sich das Institut für Geographie dazu entschlossen hat, dem Leitbild der Universität Bremen folgend das forschende Lernen in den Studiengängen fest zu verankern. Dementsprechend ist dieses Angebot zum forschenden Lernen nicht als Einzelmaßnahme zu verstehen, sondern mit anderen Modulen des Faches Geographie verzahnt.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Geographie ein paradigmenpluralistisches Fach ist, das sich aus der naturwissenschaftlich geprägten Physischen Geographie und der sozialwissenschaftlichen Humangeographie zusammensetzt. Wir haben viel diskutiert, ob forschendes Lernen im ersten Semester in den Naturwissenschaften möglich sei, da zu diesem Zeitpunkt bei den Studierenden lediglich geringe fachliche und methodische Grundlagen vorliegen. Wir haben entsprechende Lösungen entwickelt und gezeigt, dass forschendes Lernen auch im ersten Semester und auch in der naturwissenschaftlichen Fachrichtung möglich und sinnvoll ist (Mossig et al., 2020, Mossig & Bornemann, 2021).

Die Bachelorreform wurde zum Wintersemester 2017/18 umgesetzt und damit auch das Einführungsprojekt erstmals durchgeführt. Mittlerweile können wir auf umfassende Erfahrungen zurückblicken. Die Umsetzung der Bachelorreform und damit auch das Einführungsprojekt wurden für zwei Jahre aus Hochschulpaktmitteln gefördert.

Umfeld

Grund

Persönliches professionelles Anliegen

Impuls aus meinem Umfeld

Was war der Grund dafür, dass ich mich für das forschende Lernen entschieden habe?

Der Grund für die Integration des forschenden Lernens in das Einführungsprojekt Geographie liegt vor allem in dem Ziel begründet, dass die Studierenden im Verlauf ihres Studiums eine forschende Haltung und eine fachliche Identität entwickeln sollen. Um dies zu erreichen, sollten die Studierenden im Verlauf ihres Studiums eigenständige Forschungserfahrungen sammeln und komplette Forschungszyklen durchlaufen. Warum also nicht direkt damit einsteigen, denn die Studierenden studieren ein Fach aufgrund bestimmter Erwartungen, die sie aufgrund Ihres Vorwissens an das Fach haben. Diese Motivation für das Fach Geographie wird im Modul Einführungsprojekt genutzt und in Lernenergie umgesetzt, indem die Studierenden zum Studienbeginn an dem Punkt abgeholt werden, an dem sie stehen. Dabei decken sich ihr schulisches Vorwissen und ihre inhaltlichen Erwartungen an das Fach oftmals nicht mit den Inhalten der Lehrveranstaltungen, da Erdkunde an Schulen zumeist nicht an aktuellen Fachdiskursen anschließt, die im Rahmen der Einführungsvorlesungen vermittelt werden. Das Einführungsprojekts bietet den Raum, um zwischen dem Vorwissen und den aktuellen Studieninhalten zu vermitteln. Bei der Reform der Bachelorstudiengänge war es dem Institut für Geographie wichtig, dass das Einführungsprojekt keine Einzelmaßnahme bleibt. Vielmehr sollen sich im Laufe des Bachelorstudiums immer wieder Möglichkeiten zum Forschen und zum Verfassen einer fundierten Abschlussarbeit ergeben, die fest in den Modulbeschreibungen verankert sind. Wichtige Impulse bei der Idee und der Umsetzung kamen aus dem hochschuldidaktischen Umfeld: Einerseits durch die Teilnahme am Jahresprogramm 2014 von Lehre hoch n sowie andererseits durch den persönlichen Kontakt zu Ludwig Huber, der die Universität Bremen umfangreich bei der Implementierung des forschenden Lernens unterstützt hat.

Umfeld

Umsetzung

1 Semester lang & ein eigenes Format

Curricular verankert & verpflichtend

Forschungsprozess: systematisch angeleitet

Feedback: Peers, Lehrende und externe Personen

Forschungsergebnisse: Institutsöffentlich

Wie ist mein Lehrangebot zum forschenden Lernen genau beschaffen?

Das Angebot zum forschenden Lernen hat sich zum Ziel gesetzt, gleich zu Beginn des Studiums Impulse zu geben, um die in Forschungsprozessen übliche Verzahnung von Fachinhalten, Forschungsfragen, Forschungsmethoden und der Präsentation von Ergebnissen erfahrbar und dadurch leichter nachvollziehbar zu machen. Aufbauend auf den Prinzipien des forschenden Lernens durchlaufen die Studierenden einen kompletten Forschungszyklus in Form einer einsemestrigen Projektarbeit. In Kleingruppen (3-6 Studierende) bearbeiten sie eine selbst gewählte Fragestellung mit einer eigenen kleinen Empirie und präsentieren die Ergebnisse institutsöffentlich auf einem Poster. Dabei werden sie von den Lehrenden intensiv begleitet.

Im Rahmen der Veranstaltung sammeln die Studierenden zunächst Ideen für ihre Forschungsarbeit, beschließen auf dieser Grundlage eine zu untersuchende Forschungsfrage. Beispiele für bearbeitete Fragestellungen sind: Inwieweit können Zertifizierungen das Konsumverhalten nachhaltiger gestalten, wie kann die Verkehrsplanung deutscher Städte gendergerechter gestalten werden oder wie beeinflusst die Chlorideinleitung durch den Kalibergbau die Fischfauna in Werra und Weser? Anschließend erhalten sie einen Überblick über Methoden der Geographie und entscheiden sich für eine geeignete Methode zur Untersuchung des gewählten Themas. Darauf aufbauend fassen die Studierenden ihre Überlegungen in einer Projektskizze zusammen und präsentieren diese im Plenum, um Feedback zu erhalten. Auf dieser Grundlage erfolgt die Durchführung der Forschungsarbeit mit der Darstellung des Forschungsstandes, der Datenerhebung und -analyse und der abschließenden Präsentation der Ergebnisse in Form einer institutsöffentlichen Posterpräsentation, bei der die Studierenden ihre Ergebnisse präsentieren (15 Minuten) und mit dem Plenum diskutieren (15 Minuten). Im Auditorium befinden sich auch Professor:innen und Mitarbeiter:innen, die nicht in dem Kurs unterrichtet haben. Auch werden besonders gute Poster im Institut für Geographie ausgestellt. Dadurch erfahren die Wissensprodukte der Studierenden eine besondere Aufmerksamkeit.

Neben der Ausarbeitung des eigenen Forschungsprojekts erhalten die Studierenden wöchentlich relevante Informationen zu angrenzenden Themen und Unterstützungsmöglichkeiten. Diese reichen von der Vorstellung der E-Learning-Plattform und der Universitätsbibliothek über Recherchetechniken und formalen Aspekten wie Prüfungsordnungen und Prüfungsanmeldungen bis hin zu Auslandsmöglichkeiten und bestehenden Hilfsangeboten bei finanziellen oder sozialen Problemen. Da sich die Studierenden in der Studieneingangsphase befinden und ihnen grundlegende Informationen, Verhaltensregeln und universitäre Unterstützungsangebote in der Regel noch unbekannt sind, halten wir diese Inputs für besonders wichtig. Die konkrete Durchführung der Veranstaltung können in den hier verlinkten Ablaufplan vom WS 19/20 eingesehen werden.

Umfeld

Spannungen

Veranstaltungsplanung und Anpassung infolge der Dynamik beim forschenden Lernen

Studentische Kompetenzentwicklung und Anforderungen des Forschungsprozesses

 

Welche Spannungen ergeben sich beim forschenden Lernen?

Ein grundsätzliches Spannungsverhältnis zeigt sich in der Frage, ab wann forschendes Lernen im Studium angeboten werden soll. So ist ein gängiger Einwand gegen das forschende Lernen (vor allem in der Studieneingangsphase), dass die Studierenden zu diesem Zeitpunkt noch nicht über genügend Vorwissen verfügen, um forschend tätig zu werden. Wir haben diesen Einwand bei der Konzeption der Veranstaltung ausgiebig diskutiert und sind zu der Überzeugung gelangt, dass die Studierenden bereits über ein in der Regel schulisches Vorwissen verfügen und sich dies in der Wahl des Studienfachs widerspiegelt. Die Motivationen für ein Studienfach kann durch das forschende Lernen genutzt werden, wenn Studierende gleich zu Beginn eine Fragestellung bearbeiten, die sie für relevant halten und sie sich nun auf den Weg machen dürfen, die Frage innerhalb der fachlichen Diskurse zu verorten und methodisch zu bearbeiten.

Das forschende Lernen wird in diesem Zusammenhang von Studierenden durchaus als Herausforderung wahrgenommen. So empfinden es einige Studierende als schwierig, eigenständig neue Themen zu recherchieren und Wissensprodukte zu erstellen oder sind verunsichert, wenn ihr Vorwissen und ihre Vorstellungen von Geographie nicht mit dem aktuellen Fachdiskurs in Einklang zu bringen sind. Wir halten diese Erfahrungen jedoch für sehr wichtig, da sie ein grundlegendes Element für die Entwicklung einer akademischen Haltung darstellen. Die Konzeption der Veranstaltung und die enge Betreuung ermöglichen es, diese Herausforderungen oder Diskrepanzen zu thematisieren, einzuordnen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Die Unterstützung und Betreuung der Studierenden bedeuteten für die Lehrenden, die eigene Rolle zu reflektieren. Wir betrachten uns im Rahmen des Einführungsprojekts als der Guide on the Side in Abgrenzung zum Sage on the Stage (King 1993), der in akademischer Lehre häufig anzutreffen ist.

Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus der curricularen Einbettung der Veranstaltung im ersten Semester. Einerseits ist die feste Verankerung der Veranstaltung im Curriculum sehr wichtig, um dem forschenden Lernen einen angemessenen Raum zu geben. Andererseits sind die engen Vorgaben modularisierter Studiengänge wenig flexibel, wenn es um nicht-lineare Bildungsbiographien der Studierenden geht. So müssen für Quereinsteiger in den Studiengang (z. B. aufgrund eines Fach- oder Studienortwechsels) individuelle Lösungen gefunden werden, wie diese (in der Regel bereits studienerfahrenen) Personen sinnvoll in das obligatorische Einführungsprojekt integriert werden können.

Insgesamt war bei der Umsetzung aller Maßnahmen im Zuge der durchgeführten Bachelorreform am Institut für Geographie in Bremen sehr hilfreich, dass nahezu alle Bremer Geographieprofessor:innen überdurchschnittlich stark an guten Lernbedingungen durch gute Lehre interessiert und engagiert sind.

Umfeld

Wirkung

Entwicklung und Ausleben studentischer Neugier

Anknüpfung an bestehende Forschung

Erwerb von methodischen Kenntnissen

Auseinandersetzung mit Fachliteratur

Erkennen von Zusammenhängen zwischen Studieninhalten

Welchen Einfluss entfaltet mein Angebot zum forschenden Lernen?

Die intendierten Wirkungen lassen sich anhand der Lernziele für diese Veranstaltung darstellen. Zentrale Lernziele sind erstens das Erlernen wissenschaftlicher Arbeitsweisen sowie die Verknüpfung von Forschung und Lernen. Das zweite Lernziel des Moduls betrifft den Erwerb von Fachwissen und Fachmethoden. Die Studierenden müssen ihre Fragestellung innerhalb aktueller Fachdiskurse verorten und dazu wissenschaftliche Literatur verarbeiten. Sie erhalten einen grundlegenden Überblick über verschiedene Fachmethoden und setzen sich vertiefend mit denjenigen Methoden auseinander, welche zur Bearbeitung der eigenen Fragestellung sinnvoll erscheinen. Somit wird die Verzahnung zwischen Methoden und Inhalten erlebbar und führt bestenfalls dazu, dass der Zweck und praktische Nutzen der speziellen Methodenkurse im Studium (z. B. GIS, Statistik, Qualitative Methoden der Sozialforschung) erkannt wird. Drittes Ziel ist die Entwicklung der fachlichen Identität. Durch die Bearbeitung selbstgewählter Fragestellungen befassen sich die Studierenden mit Themen, die sie motiviert haben, das Fach Geographie zu studieren. Sie knüpfen somit an ihren Erwartungen an das Fach und an ihrem Vorwissen an. Es zeigt sich, dass die Studierende sehr unterschiedliche Vorstellungen über Inhalte, Methoden und Praxisrelevanz des Faches Geographie haben. Im Modul Einführungsprojekt bringen sie ihre Vorstellungen ein und werden in der aktiven Auseinandersetzung mit dem Fach Geographie begleitet. Das vierte Ziel betrifft die Bewältigung der außerfachlichen Herausforderungen des Studienbeginns. So erlernen die Studierenden in der Veranstaltung sich selbständig zu organisieren, mit anderen Zusammenzuarbeiten und Erfahrungen im Zeit- und Projektmanagement zu sammeln.

In diesem Zusammenhang freuen wir uns besonders, dass das Einführungsprojekt 2019 mit dem Lehrpreis Geographie des Verbandes für Geographie an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen (VGDH) ausgezeichnet wurde.

Weitere Informationen zu diesem Praxisbeispiel sind in der folgenden Literatur zu finden Mossig et al., 2020, Mossig & Bornemann, 2021.

Flaschenpost
  • Prof. Dr. Ivo Mossig
  • Universität Bremen
  • 2024
  • Das hier vorgestellte Angebot zum forschenden Lernen wurde für Studienanfänger:innen der Geographie konzipiert und zeigt, wie Studierende bereits zu Beginn ihres Studiums einen vollständigen Forschungszyklus durchlaufen können.

  • Fallbeispiel oder Praxisbericht (z.B. Projektbeschreibung)
  • Text/Textdokument
  • Deutsch
  • CC BY SA (unsere Empfehlung: Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen)
  • Mossig, Ivo (2024). Forschendes Lernen als zentrales Element in der Studieneingangsphase im Fach Geografie. Insel der Forschung: Beispiele & Good Practices.
  • Studieneingangsphase Bachelor (1.-2. Semester)
  • Geographie